Allgemein JenaKultur (übergreifend) Kulturarena Kulturpolitik

Wie steht es eigentlich um die Kulturarena?

Publikum auf dem Theatervorplatz bei einem Konzert der Kulturarena Jena

Diese Sache mit dem schönen Schein. Klickt und liest man sich durch die aktuelle mediale Berichterstattung, entsteht schnell dieser prächtige Eindruck von einer erstrahlenden Veranstaltungsbranche nach den Pandemiejahren: prall gefüllte Arenen mit Shows von Elton John, Herbert Grönemeyer oder Depeche Mode. Die eindrucksvollen Impressionen von „Rock am Ring“ oder dem „Fusion“-Festival mit bombastischen Besucherzahlen vermitteln ein Aufatmen der Branche. Also alles wieder beim Alten? Der schöne Schein trügt – zumindest strahlt er längst nicht überall. Ein genauerer Blick auf die Nachrichten zeigt auch Schattenseiten: abgesagte Tourneen, Festivals und Konzerte und überaus bedrohliche Zeiten für viele Veranstalter kleiner bis mittelgroßer Festivitäten.

Wir möchten einen Blick auf den gegenwärtigen Zustand der Veranstaltungsbranche, insbesondere auf die Kulturarena werfen und die Einschätzungen von Lutz Engelhardt (Mitbegründer Kulturarena Jena, seit mehr als 30 Jahren Booker für die Kulturarena und andere namhafte Festivals und Konzertreihen) und Kristjan Schmitt (Produktionsleitung Kulturarena, seit 25 Jahren in der Veranstaltungsbranche tätig) teilen.

Kristjan, kannst du kurz skizzieren, welche entscheidenden Schritte notwendig sind, um Live-Erlebnisse wie die Konzerte der Kulturarena zu ermöglichen? Welche sind die wichtigsten Aufgaben von JenaKultur als Veranstalter?  

Kristjan Schmitt: Es braucht einen tollen, einzigartigen Veranstaltungsort, ein ansprechendes Programm und ein großartiges, gut gelauntes Team drum herum, das alles entsprechend vorbereitet und durchführt. 
Den einzigartigen Ort dürfen wir schon seit über 30 Jahren über die Sommermonate bespielen: Das Theaterhaus Jena und den dazugehörigen Theatervorplatz. Die Musiker:innen stehen auf der Bühne und im Orchestergraben, also dem Bühnenhaus des Theaters, die Zuschauer:innen stehen oder sitzen im Freien, da das Zuschauerhaus des Theaters seit 1988 baufällig abgerissen werden musste – einmalig in Deutschland, vielleicht sogar in Europa.
Das schöne abwechslungsreiche Programm wird durch Lutz Engelhardt zusammengestellt.
Wir als JenaKultur sind die Veranstalter – bei uns laufen alle Fäden zusammen: von Antragstellung und Ausnahmegenehmigung, über Bestuhlungspläne und Sitztribüne, gastronomische Versorgung, technische Ausstattung und Umsetzung, Ticketverkauf, Sponsoring, Marketing, Öffentlichkeitsarbeit und vielen vielen Verträgen mit Agenturen, Künstler:innen, Dienstleistenden, Techniker:innen und diversen Partnern.

Kristjan Schmitt und Lutz Engelhardt nach einem Konzert der Kulturarena hinter der Bühne
Kristjan Schmitt (links) und Lutz Engelhardt (rechts) hinter der Bühne. ©Kulturarena, C. Worsch

Und wie läuft es momentan bei den anderen? Elton John stellte in diesem Jahr einen Umsatzrekord mit seiner Tournee auf und spielte so viel Geld ein wie keine andere Konzertreise zuvor. Bei der kürzlichen Konzertserie von Rammstein wird von einem „Meilenstein in der Münchner Musikgeschichte und in der Historie des Olympiaparks“ gesprochen. Auf Außenstehende vermitteln solche News das Gefühl, als liefe es in der Veranstaltungsbranche besser denn je. Wie sieht die Realität aus? 

Lutz Engelhardt: Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Auf der einen Seite haben wir solche Tourneen wie die hier genannten, auf der anderen Seite hagelt es Absagen von Festivals.
Bekanntestes Beispiel: das „Download Festival“ 2023 auf dem Hockenheimring wurde gänzlich abgesagt – mit Hinweis auf „produktionstechnische Gründe“. Wer es glaubt, wird selig.
Man hört von vielen Seiten, dass der Verkauf der Tickets schleppend verläuft – „Rock am Ring“ oder „Rock im Park“ – eigentlich Ausverkaufsgaranten – blieben auf Tausenden von Tickets sitzen und mussten am Ende sogar Discounts anbieten. So etwas hat es vorher noch nie gegeben.

Was sind die größten Probleme, denen sich die Kulturarena und so auch viele andere Veranstalter aktuell stellen müssen? 

Kristjan Schmitt: Aktuell stellen vor allem die gestiegenen Kosten in der Energieversorgung, im Personalbereich und durch die Inflation die größten Probleme dar. Hinzu kommt fehlendes Personal in verschiedenen Bereichen wie Hotel, Gastronomie, Technik und Aushilfen.

Mitarbeitende auf der Bühne der Kulturarena bauen Technik und Equipment nach einem Konzert ab
©Kulturarena, C. Worsch

Welchen Einfluss haben Inflation und Kostensteigerungen auf die Veranstaltungsbranche?

Kristjan Schmitt: Die Kostensteigerungen haben wir alle zu tragen, Veranstaltende, Künstler:innen und Gäste. Die spannende Frage ist, wie die steigenden Kosten verteilt und umgelegt werden. Unser größtes Anliegen ist es, die Eintrittspreise möglichst stabil zu halten und branchenübliche Löhne und Gehälter zu zahlen. Das ist ein schwieriger Spagat. 

Lutz Engelhardt: Kristjan hat es ja bereits angerissen. Es gibt insbesondere im Bereich des Personals und der Technik enorme Kostensteigerungen. Die aufzufangen, ist extrem schwierig – noch weiter an der Schraube für die Eintrittspreise zu drehen, ist von uns nicht gewollt, wir können uns dem aber oftmals gar nicht entziehen.
Die Kostensteigerungen haben nicht nur wir als Veranstalter zu verkraften, sondern auch die Künstler:innen, die sich Equipment leihen müssen, Tourneebusse mieten und mit ganz deutlich gestiegenen Flugkosten klarkommen müssen. Für viele Künstler:innen lohnt es sich plötzlich gar nicht mehr, auf Tournee zu gehen, weil Veranstalter nur bedingt bereit sind, höhere Gagen zu zahlen.
Den Preis dafür zahlen in den meisten Fällen unbekanntere Bands, und das ist extrem schade.

Hat die Subventionspolitik des Bundes ihre Wirkung verfehlt?

Lutz Engelhardt: Das würde ich so pauschal jetzt nicht sagen. Während der Corona-Jahre hat die Subventionspolitik unzähligen Clubs und Veranstaltern das Leben gerettet. Das war unendlich wichtig.

Ein Teammitglied der Kutlurarena tritt duch eine Tür mit der Aufschrift "Stage" in den dunklen Raum hinter der Bühne der Kulturarena
©Kulturarena, C. Worsch

Dennoch scheint der Veranstaltungssektor einer zunehmenden Spaltung ausgesetzt zu sein. Wie kommt das, und kannst du uns ein paar Auswirkungen davon beschreiben?

Lutz Engelhardt: Einige aktuelle Programme, bei denen z. B. Sommerfestivals subventioniert werden, halte ich in Teilen für sinnfrei.
Da wurden von heute auf morgen neue Festivals aus dem Boden gestampft, bei denen Veranstalter gar nicht überlegen müssen, ob sie sich tragen. Das ist natürlich ärgerlich für etablierte Festivals, die zusehen müssen, wie vor ihrer Haustür plötzlich neue Formate entstehen und bei denen Gagen gezahlt werden, die man bei seriöser Kalkulation gar nicht aufbringen kann. Da gibt es Veranstaltende, die diese Subventionen einfach mal mitnehmen, ohne sich über die Konsequenzen im Klaren zu sein – oder sie sind ihnen schlichtweg egal. 

Welche Konsequenzen ziehst du aus dieser Situation für den Umgang mit der Politik? 

Lutz Engelhardt: Für die Kulturarena bot sich in den meisten Fällen ja gar nicht die Möglichkeit, in den Genuss dieser Subventionen zu kommen. Kommunale Träger blieben da oftmals außen vor. Als Tourneeveranstalter habe ich da manchmal die absurde Erfahrung machen müssen, dass bei privaten, kommerziellen Trägern Ausfallgagen gezahlt werden konnten, während die Künstler:innen bei öffentlichen Veranstaltern gänzlich leer ausgingen. Das war natürlich nicht im Sinne des Erfinders, und daraus muss die Politik lernen. Wie willst du einem Künstler erklären, dass ein kommerzieller Veranstalter eine Ausfallgage zahlt, eine Kommune jedoch nicht? Ich denke, es kann nicht sein, dass die Kommunen mit ihren knappen Kulturetats da im Regen stehen gelassen werden und damit letztendlich auch die Künstler:innen.

Gibt es Entwicklungen in der Branche, die euch zuversichtlich in die Zukunft blicken lassen? 

Lutz Engelhardt: Die Solidarität untereinander ist größer geworden, und der Ton in der Branche ist nicht mehr ganz so rau. Es wäre schön, wenn wir uns das erhalten könnten.

Kristjan Schmitt: Da stimme ich zu. Es gibt mehr Entgegenkommen, mehr Anpassung an lokale Gegebenheiten, das war früher anders. Ich hoffe sehr, dass das so bleibt.

Drei Mitglieder des Kulturarena-Teams mit T-Shirts, auf denen "ansprechbar" steht, sitzen nebeneinander auf der Bühne der Kulturarena nach einem Konzert
©Kulturarena, C. Worsch

Gibt es spürbare Veränderungen beim Booking von Künstlerinnen und Künstlern für die Kulturarena (im Vergleich zu Vor-Pandemie-Zeiten)?

Lutz Engelhardt: Die Agenturen sind vorsichtiger geworden, und wir bekommen immer früher Angebote für die kommende Saison. Und nach wie vor überlegen sich Künstler:innen aus Übersee dreimal, ob sie das Risiko einer Tournee durch Europa eingehen oder nicht. Corona hat da tiefe Wunden geschlagen, und der Krieg in der Ukraine hat spürbare Auswirkungen. 

Wir hören es oft von anderen Veranstaltern und spüren es auch selbst: Die großen Namen und Headliner verkaufen sich rasend schnell. Kleinere Acts, Geheimtipps, Nischenmusik oder Newcomer gehen zunehmend schleppend über den Tresen. Wie schätzt du das aktuelle Besucherverhalten bei der Kulturarena ein?

Lutz Engelhardt: Das ist ein Trend, dem wir uns auch bei der Kulturarena nicht entziehen können und den wir sehr bedauern. Allerdings ist das eine Entwicklung, die schon vor Corona spürbar war. Bei der Kulturarena sicher nicht ganz so stark wie andernorts, aber die Offenheit für Neues zu wecken, das ist schwieriger geworden. 

Welche Schlüsse kann man aus den aktuellen Erfahrungen für die Zukunft der Kulturarena ziehen?

Lutz Engelhardt: Die Antwort kann nicht sein, auf riskante Bookings zu verzichten und nur noch auf große Namen zu setzen – dann hätte die Kulturarena für mich keine Berechtigung mehr. Die Kulturarena steht nach wie vor für einen Mix aus etablierten Künstlerinnen und Künstlern, Neuentdeckungen, aus populären Musikstilen und Avantgarde und ungewohnten Klängen. Sie soll ihnen eine Bühne bieten, die sie sonst nirgendwo finden. Letztendlich sind es ja diese Pole, die die Kulturarena ausmachen und zu etwas Besonderem machen.
Und da sind nicht nur wir als Festivalmacher:innen gefordert, sondern auch unser Publikum.

Kristjan Schmitt: Wir wünschen uns wieder mehr Neugier, mehr Entdeckungsfreude – auf unbekannte, kleinere Künstlerinnen und Künstler. Die inhaltliche Vielfalt versuchen wir alljährlich zu bieten, auf einem tollen innerstädtischen Gelände, jetzt braucht es nur noch Sie, liebes Publikum. Dann kann die Kulturarena Jena noch viele Sommer erlebbar sein.

Künstlerin auf der Bühne der Kulturarena formt mit ihren Händen ein Herz zum applaudierenden Publikum hin
©Kulturarena, C. Worsch

Das Interview wurde von Anna Fuhlbrügge aus dem Team der Kulturarena geführt. Wir danken ihr, Kristjan Schmitt und Lutz Engelhardt sehr für diesen spannenden Einblick hinter die Kulissen!

Merken Sie Unterschiede auf Veranstaltungen oder vielleicht sogar in Ihrem eigenen Verhalten bei der Planung oder beim Besuch von Kulturevents? Was vermissen Sie oder wünschen Sie sich für die Zukunft? Berichten Sie davon gern in den Kommentaren!

Wir hoffen, Sie genießen in diesem Jahr auch einen oder mehrere sommerliche Konzert-, Theater- oder Filmabende bei der Kulturarena Jena. Schauen Sie doch mal ins Programm!

 

 

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