Turmblasen auf dem Jenaer Weihnachtsmarkt


50. Jenaer Turmblasen

Bereits zum 50. Mal erklingen in diesem Jahr zum Jenaer Weihnachtsmarkt täglich um 17 Uhr weihnachtliche Lieder, live gespielt von einer Bläsergruppe des Blasmusikvereins Carl Zeiss Jena e. V. Auf das traditionelle Turmblasen vom historischen Rathaus freuen sich die Gäste immer sehr. Nicht auszudenken, es fiele weg! Pünktlich kurz vor 17 Uhr füllt sich dann der Jenaer Marktplatz, kommen Familien, Freund:innen, Kolleginnen und Kollegen, Einwohner:innen und Gäste zusammen, ein Heißgetränk in der Hand, und warten sehnsüchtig, der Blick auf den Turm des historischen Rathauses gerichtet – und dann geht es los. Pünktlich mit dem fünften Glockenschlag öffnen sich die Fenster.

Zu verdanken haben wir diese schöne Tradition dem Jenaer Blasmusikverein Carl Zeiss Jena e. V., dessen Mitglieder 2023 zum 50. Mal die steilen Treppen des Rathausturmes erklimmen und von oben den Jenaer Marktplatz in weihnachtliche Lieder hüllen. Deshalb wollen wir Ihnen heute die Menschen hinter den Kulissen vorstellen:

Bitte stellen Sie sich kurz den Leser:innen vor.

Der Blasmusikverein hat seine Wurzeln im 1971 gegründeten Fanfarenorchester des früheren Kombinates Carl Zeiss. Mit ihrer Spielfreude sorgten die Musiker:innen bis 1990 an vielen Orten und zu vielen Anlässen in Jena und darüber hinaus für Unterhaltung. 1990 war auch für sie ein tiefer Einschnitt, aber die engagierten jungen Musiker:innen haben nicht aufgegeben. Sie haben sich in Gestalt des Blasmusikvereins Carl Zeiss Jena e. V. auf eigene Füße gestellt und nach und nach eine neue künstlerische Identität geschaffen. Aus Fanfarenorchester wurde Brass Band, heute mit rund 230 Mitgliedern, mit vier Orchestern, einer eigenen Nachwuchsschmiede in Gestalt einer Orchesterschule und vielen musikpädagogischen Projekten. Der Verein ist Teil der Jenaer Kultur- und Bildungslandschaft, und die Brass Band BlechKLANG gehört heute zu den führenden dieser Musikrichtung in Deutschland. Wir sind selbstverständlich stolz darauf, dass eine in den Gründungsjahren 1971/72 entstandene Tradition auch heute noch Bestand hat: Das Jenaer Turmblasen.

Wer hatte die Idee dazu? Bzw. wo ist der Ursprung des Jenaer Turmblasens?

Im Dezember 1972 erschien in der damaligen Tageszeitung „Volkswacht“ eine kleine Randnotiz, die darüber informierte, dass zur Eröffnung des Jenaer Weihnachtsmarktes vom Rathausturm eine Bläsergruppe des Fanfarenorchesters Carl Zeiss musizierte. Die Anfrage kam von der Stadt. Man muss wissen, dass zu dieser Zeit der Weihnachtsmarkt zunächst nur an einem Tag stattfand. Die Idee hatte aber bereits damals sehr viel Zuspruch gefunden. Man kann ruhigen Gewissens von der Geburtsstunde des Jenaer Turmblasens sprechen. Nach so vielen Jahren ist es berechtigt, dies als eine Tradition zu bezeichnen. Das Turmblasen entwickelte sich mit der Entwicklung des Jenaer Weihnachtsmarktes mit und findet seit 1990 täglich an jedem Weihnachtsmarkttag statt. Was mit einem Tag begann, sind also heute ca. 28 Tage in Folge mit stets rund 10 Musiker:innen auf dem Rathausturm.

Gibt es eine Tradition wie das Jenaer Turmblasen auch in anderen Städten?

Turmblasen gibt es sicher auch in anderen Orten, da Turmmusik unabhängig eines Weihnachtsmarktes durchaus Tradition hat. Allerdings ist uns nicht bekannt, dass es eine Stadt oder eine Gemeinde in Thüringen gibt, in der während vier Wochen Weihnachtsmarkt täglich ein weihnachtliches Turmblasen stattfindet.

Wie viele Blechbläser:innen sind denn so in einem Jahr im Einsatz?

In diesem Jahr musizieren wir an 28 Tagen vom Rathausturm, dabei wechseln sich ca. 30 Musiker:innen ab (an jedem Tag sind 9 Musiker:innen im Einsatz). Es erklingen 20 Stunden Turmmusik, da an den Wochenenden (Freitag bis Sonntag) jeweils zu einer Stunde Musik vom Rathausturm eingeladen wird.

Ohne Pandemie wären es bereits 52 Jahre. Wie war es für Sie? Haben Sie es vermisst? Oder die Auszeit genossen?

Die Zeit der Pandemie hinterließ auch bei uns bleibende Eindrücke, sie forderte uns aber zugleich heraus, neu zu denken. Zu keiner Minute haben wir an Aufgeben gedacht. Wir hatten uns während dieser Zeit natürlich neu zu organisieren, um den inneren Zusammenhalt nicht zu verlieren und den Kontakt zu unserem Publikum zu bewahren. 

Die Pandemie war für uns keine Auszeit. Wir sind in allen Vereinsbereichen auf Online umgestiegen, die Jenaer Bläserweihnacht in der Stadtkirche wurde gestreamt, und auch auf das Turmblasen musste man nicht verzichten. Wir hatten ein 20minütiges Programm zusammengestellt, dass man sich auch heute noch mit dem diesem Link ins Wohnzimmer holen kann.

Zusätzlich gab es bei Jena TV ein tägliches Turmblasen in Form von weihnachtlichen Bildern, unterlegt mit Titeln unserer Weihnachts-CD.

Natürlich war dies alles kein Ersatz für das Live-Turmblasen vom Rathausturm. Ich denke, wir haben es genauso vermisst wie die Jenenser:innen, Jenaer:innen und Besucher:innen der Stadt.

Ganz herzlich bedanken wir uns bei all jenen, die in dieser Zeit unseren Hilferuf „Rettet das Jenaer Turmblasen“ erhört hatten. Das Jenaer Turmblasen ist mit dieser Unterstützung gerettet worden, wovon man sich vom 24.11. bis 22.12. auf dem diesjährigen Jenaer Weihnachtsmarkt wieder überzeugen kann.

Wer darf dort musizieren? Wie wählen Sie aus? Sind es täglich die gleichen Musiker:innen?

Also, das Musizieren vom Rathausturm ist schon etwas Besonderes und wenn man so will, auch eine Ehre. Man muss ein paar Voraussetzungen erfüllen. Das ist eine ganz besondere Spielfreude, man muss sein Instrument beherrschen, das Gesamtrepertoire kennen, zudem ist absolute Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit Voraussetzung. Alle, die diese Voraussetzungen erfüllen, dürfen mit zum „Schnapphans“.  Die Organisation des Turmblasens ist aber eine logistische Herausforderung, für jede:n einzelne:n Musiker:in und für die Verantwortlichen bei der Zusammenstellung der Gruppen.

Die Bläsergruppe setzt sich nahezu täglich neu zusammen. Je nach verfügbarer Zeit sind manche sehr oft mit auf dem Turm, andere können es nur an wenigen Tagen ermöglichen. Die ehemalige Solohornistin der Brass Band BlechKLANG, Anabel Voigt, die seit zwei Jahren als erste Deutsche überhaupt am berühmten Royal Birmingham Conservatoire Horn studiert, freut sich zum Beispiel sehr auf ihre Einsätze an den beiden letzten Weihnachtsmarkttagen.

Werden für das Turmblasen besondere Instrumente genutzt?

Schon immer gab es einen speziellen Satz an Instrumenten, der während dieser Zeit auf dem Turm verblieben ist. Das Turmblasen gehört aber zur Vereinsidentität und so haben wir 2013 entschieden, im Verlauf von zwei Jahren neue Instrumente, speziell für das Turmblasen geeignet, anzuschaffen. Alle Instrumente sollten den Schalltrichter nach vorn haben, zum Fenster hinaus auf den Markt gerichtet.

Statt Tuba wird Sousafon gespielt, statt Horn erklingt Es-Fanfare bzw. Tenorfanfare. Insgesamt haben wir für die Verbesserung der Qualität des Turmblasens einen fünfstelligen Betrag investiert. Wir sind natürlich stolz darauf, dass wir das hinbekommen haben.

Sie stehen auf dem Rathausturm und blicken stets auf den vom Leben gefüllten Weihnachtsmarkt. Was erfüllt sie als Musiker besonders?

Es gibt immer zwei ganz besondere Momente, die es uns warm ums Herz werden lassen. Der erste Moment ist, wenn wir nach dem fünften Glockenschlag (dem ersten tiefen Gong) die Fenster öffnen, und auf dem Markt drängen sich die Menschen mit Blick nach oben, um uns zu sehen und zu hören. Unglaublich, wie sich der Weihnachtsmarkt in der Zeit zwischen 16:30 und 17:00 Uhr mit Besucher:innen füllt.

Wir alle wissen, „Der Applaus ist das Brot für den Künstler“, und das ist der zweite ganz besondere Moment: Mit dem letzten Ton applaudieren die Marktbesucher:innen, und der Applaus hallt noch nach, wenn die Fenster schon geschlossen sind.

Kommt es eigentlich während des Turmblasens auch zu einem Kontakt mit dem Publikum?

Ja, nicht selten winken uns Besucher:innen zu, und wir winken auch zurück. Manches Mal hört man auch Besucher:innen mitsingen, oder sie bewegen sich zu den Liedern. Das ergreift uns.

Als eine besondere Form des Kontaktes empfinden wir aber auch an den Wochenenden die Kommunikation zwischen Besucher:innen und unserem Moderator auf der Bühne, Thomas Rothardt. Er ist einer der erfahrensten Turmbläser und stellt in jedem Jahr das Repertoire mit zusammen.

Wer bestimmt die Auswahl der Stücke? Nach welchen Kriterien?

Es gibt eine große Liste an Stücken, die in den Jahren des Turmblasens immer länger wurde.

Das Spektrum reicht von klassischer Turmmusik früherer Jahrhunderte bis zu Volkswaisen. Die Stücke sind für das Turmblasen speziell arrangiert, und für jeden Geschmack sollte etwas dabei sein. Der gesamten Stückauswahl liegt das Prinzip der Turmmusik zugrunde.

Was konkret gespielt wird, bestimmt der „Hutmann“ bzw. die „Hutfrau“ des jeweiligen Tages. (Der Begriff Hutmann stammt übrigens aus dem Bergbau früherer Zeit. Er war der eingesetzte Grubenaufseher. Ähnlich ist es auf dem Rathausturm. Klare Ansage und schnelles Blättern in der Notenmappe, damit keine zu langen Pausen entstehen. Der Hutmann trägt die volle Verantwortung für diese Zeit.)

Es gibt aber auch kleine Rituale wie Wunschtitel einer/s jeden Musiker:in. Damit alles seine Ordnung hat, sind in die Holzbalken Nägel eingeschlagen, manche vielleicht schon seit 50 Jahren, an die die Notenmappen gehängt werden.

Einmalig und absolut verpflichtend sind der Anfangs- und Abschlusstitel eines jeden Turmblasens: Eröffnung mit „Guten Abend, schön Abend“ und zum Schluss „Alle Jahre wieder“.

In 50 Jahren passiert bestimmt viel, auch Lustiges. Haben Sie eine Anekdote für die Leser:innen?

Ich denke, wer viele Jahre mit auf dem Turm war, könnte sicher ein kleines Anekdotenbüchlein schreiben. Grund zum Lachen gibt es immer. Schon der Aufstieg auf den Turm und der Weg zu den Fenstern kann durchaus als hindernisreich und sportlich bezeichnet werden, wo manche kleine Episode passieren kann, auch liegt immer ein Fön mit bereit – vor allem früher sind bei strengem Frost schon mal die Ventile am Instrument eingefroren.

Weniger eine Episode, aber festes Ritual ist die Glühweinrunde nach jedem Turmblasen, für unsere Jüngsten gibt es Kinderpunsch. Die Information, wer was trinken möchte, geht schon vorab, auf einem Zettel vermerkt, an den Glühweinstand. Unser einziges Privileg: Keine Wartezeit beim Ausschank.

Schön ist auch, dass sich immer wieder ehemalige Mitglieder unseres Vereins genau bei dieser Glühweinrunde hinzugesellen und somit den Kontakt zu ihrem einstigen Verein pflegen.

Gibt es einen Wunsch für die nächsten 50 Jahre?

Nicht alle Traditionen haben Bestand, aber wir wünschen uns, dass die des täglichen Turmblasens vom Jenaer Rathausturm während des Jenaer Weihnachtsmarktes auch die nächsten 50 Jahre mit echten Musikern:innen bestehen bleibt und nicht der KI oder irgendwelchen neuen Konzepten zum Opfer fällt.

Wir danken dem Ehrenvorsitzenden des Blasmusikvereis Carl Zeiss Jena e. V., Dr. Ulrich Richter für das Interview und die spannenden Einblicke und freuen uns auf das tägliche Turmblasen in der Weihnachtsmarktzeit!

Das traditionelle Turmblasen können Sie übrigens im Zeitraum vom 24. November bis zum 22. Dezember 2023 immer montags bis donnerstags von 17:00 bis 17:30 Uhr und freitags bis sonntags von 17:00 bis 18:00 Uhr erlauschen. (Da der Jenaer Weihnachtsmarkt am Totensonntag, 26.11.23 geschlossen hat, erklang an diesem Tag auch kein Turmblasen.) Wie halten Sie es mit der Weihnachtsmusik? Gehen Sie extra zum Turmblasen auf den Weihnachtsmarkt?

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