Historische Karikatur von feiernden Männern in Burschenschaftskleidern, mit Säbeln und Bierkrügen unter einem Banner "Paradies" und vor einem großen Weinfass mit der Aufschrift "Geschenk der Stadt Jena"

Der diesjährige Stadtgeschichtstag präsentiert Filme über die Paradiesfeste und Stadtjubiläen von 1936 bzw. 1986

Die akademische und städtische Festkultur Jenas verband sich spätestens seit der 300-Jahr-Feier der Universität 1858 mit dem Namen des vor den Toren der Stadt gelegenen Jenaer Paradieses. Die seither begründete Tradition der Paradiesfeste bildet den Schwerpunkt einer multimedialen Präsentation, die Doris Weilandt auf dem Zwölften Tag der Stadtgeschichte am 8. Oktober 2022 ab 10:00 Uhr im Historischen Rathaus Jena vorstellen wird.

Gestützt auf historische Filmfragmente und -ausschnitte, verfolgt die Veranstaltung das Ziel, am Gegenstand der Jenaer Festkultur den historischen Wandel der städtischen Imagepolitik zu veranschaulichen. Während in der Frühmoderne noch die Rede von „Stadtpersönlichkeiten“ die Runde machte – bekanntlich bezeichnete Goethe Jena als „närrisches Nest“ – deuteten sich im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts Veränderungen an. Die städtische Öffentlichkeitsarbeit stellte immer stärker das Besondere und Positive einer Stadt heraus, um deren Ansehen im überlokalen Maßstab zu verbessern oder einem Imageschaden in Folge negativer Auswirkungen der beschleunigten Industrialisierung entgegenzuwirken. Im Allgemeinen wird unter Image ein „optimiertes Vorstellungsbild“ verstanden, in dem sich Wahres und Falsches, Rationales und Emotionales, Existentielles und Imaginäres mischt. Es stellt also keine reine Fiktion dar. Wie die nationale und regionale konnte sich demzufolge auch die lokale Imagepolitik niemals vollständig von den jeweiligen Realitäten ablösen. Das unterschied die städtische Imagepolitik von der politischen Propaganda. Doch mit ihrer Hilfe wurden soziale Gegensätze geglättet oder sogar ausgeblendet und die Öffentlichkeit in höchst selektiver Weise informiert.

Historische Postkarte "Paradiesfest" von 1936, auf der viele Menschen im Grünen mit Karussels im Hintergrund abgebildet sind
Schaulustige vor einer Bühne auf der Rasenmühleninsel ©Jena. Vier Jahre Kulturpflege, Jena 1937, S. 40

In diesem Kontext gewann das Stadtambiente als Zuschreibung wachsende Ausstrahlungskraft, verstanden als eine ortsspezifische Atmosphäre, die dem Stadtraum ein besonderes Gepräge verleihen würde. Während sich die Jenaer Stadtverwaltung angesichts des maroden Theaters nicht so recht als Stadt der Hochkultur in Szene zu setzen vermochte, konstruierte sie im Zuge der aufkommenden Städtekonkurrenz mit Apolda und Weimar das Label von der „Universitätsstadt im Grünen“ mit dem Paradies als Glanzpunkt. Dieses Image konnte durch die dortige Anlage von Wanderwegen und die Aufforstung der stadtnahen Berghänge durchaus Glaubwürdigkeit beanspruchen, selbst angesichts der mächtigen Schlote von Schott. Die filmische Inszenierung des Paradieses als Ausflugsziel und Festplatz erläutert Doris Weilandt zum Tag der Stadtgeschichte am Beispiel von vier Filmausschnitten. Dieses Material umfasst Aufnahmen von Volks-, Betriebs- und Kinderfesten auf der Rasenmühleninsel, die kurz vor dem Zweiten Weltkrieg und in den Jahren 1957 und 1972 stattfanden.

Die Festkultur der Stadt Jena zielte im Verlauf des 20. Jahrhunderts vornehmlich auf (Volks-) Gemeinschaftssinn und identitätsstiftende Angebote, die auf das Engste mit dem jeweiligen politischen System verknüpft waren. Die Historiker Jörg Opitz und Rüdiger Stutz veranschaulichen das zum Tag der Stadtgeschichte am Gegenstand der aufwändig inszenierten Festwochen aus Anlass der Jenaer Stadtjubiläen von 1936 und 1986. Sie stützen sich auf Filmsequenzen der historischen Festzüge, die aus Anlass dieser Jubiläumsfeiern aufgenommen wurden. Neben einer Einordnung der Bewegtbilder, sehen sie sich methodisch herausgefordert, die Image bildenden Stadtrepräsentationen im Nationalsozialismus und in der DDR vergleichend zu kommentieren. Eine Besonderheit der Jahrhundertfeiern in DDR-Städten bestand in der Fokussierung auf den jeweiligen Industriestandort, demgegenüber das städtische Gemeinwesen und seine Einwohner als Imagefaktoren in den Hintergrund traten.

Fotografie eines Festumzugs in Jena von 1986, auf der ein als Panzer dekorierter Umzugswagen vor Publikum fährt, auf dessen Ladefläche eine brennende Stadt dargestellt wird mit der Aufschrift "Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen"
Festumzug 1986: Jena im Faschismus ©Stadtmuseum Jena

Dennoch unterstreichen nicht nur vorliegende biografische Quellen, sondern auch die Filmausschnitte den Eindruck, dass sich die Erinnerung an die 1986er-Festwoche Jenas bei den Schaulustigen am Straßenrand wie den zahlreichen Gästen der Stadt tief ins Gedächtnis eingegraben hat. Die Attraktivität der 750-Jahr-Feier resultierte aber nicht allein aus den einmaligen kulturellen und gastronomischen Angeboten. Vielmehr vermittelte die Stadt als lokale Lebenswelt in besonderer Weise über die einschneidenden Zäsuren des 20. Jahrhunderts hinweg Kontinuität, Stabilität und langfristige Orientierung.

Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass die heutigen Mediengesellschaften immer mehr Kurs darauf nehmen werden, anstelle solcher verbürgten Erfahrungen Imagebilder zuzulassen bzw. zu konstruieren. Die Kehrseite dieses Trends besteht in der Tatsache, „dass Images weder Wahrheitscharakter noch Bestand abgefordert werden kann.“ (Imke Valbert) Infolgedessen wird wohl das nach wie vor bestehende Desiderat an kritischen Analysen zur jüngeren Stadtgeschichte und Erinnerungskultur Jenas noch spürbarer werden.

Waren Sie vielleicht selbst bei der 750-Jahr-Feier im Jahr 1986 dabei, liebe Leserinnen und Leser? Was ist Ihr „Image“ von Jena, wie hat es sich über die Jahre geändert?

Wir freuen uns über Ihre Gedanken in den Kommentaren und natürlich auch auf Ihre rege Teilnahme beim Tag der Stadtgeschichte am 8. Oktober 2022 ab 10:00 Uhr im Historischen Rathaus Jena. Der Eintritt ist frei.

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