In den 90er-Jahren wurde das Kassablanca durch die Black Channel-Parties zu einem der wichtigsten Treffpunkte für die Schwarze Szene Deutschlands. Immer donnerstags sorgten Heiko Schleßier und Jörg Drochner für authentische Friedhofsatmosphäre. Manchmal auch ein bisschen zu authentisch.
Wie habt ihr beide euch eigentlich kennengelernt?
Jörg: Kennengelernt haben wir uns etwa 1986 im Zug von Gera nach Jena. Wir sind damals beide in Gera auf die Berufsschule gegangen, ich machte eine Ausbildung zum Bäcker und Heiko zum Facharbeiter für Lagerwirtschaft. Und dann haben wir uns im Impuls wiedergetroffen.
Der Impuls war ein Jugendclub in Lobeda-West, der 2004 geschlossen wurde. Seit 2009 ist in dem Gebäude das KuBus.
Heiko: Damals waren die Jugendclubs die einzigen Treffpunkte für Jugendliche. Und da standen wir oft davor.
Jörg: Ich hab in dem Block gegenüber vom Impuls gewohnt, vom Balkon aus hab ich Heiko und seine Leute immer dort rumstehen sehen. Ich fand das toll wie die aussahen, mit was für Frisuren die da zur Schülerdisco gegangen sind. Bei denen hatte ich gleich das Gefühl, die sind richtig gestrickt. Ich selber bin da eigentlich noch wie so ein Spießer rumgelaufen.
Warum standet ihr immer davor, und wart nicht drin?
Heiko: Na das war immer voll. Kamst nicht rein!
Jörg: Gab nicht so viele Clubs in Jena, und so independent-mäßig schon gar nicht.
Heiko: Wenn da Disco war, sind alle hingegangen. Mehr gabs halt nicht. Einmal im Monat war noch was im Volkshaus, da war man dann schon scharf drauf.
Jörg: Manchmal haben wir uns da auch reingeschmuggelt über Hintertüren.
Heiko: Automatisch hat man sich eigentlich mit jedem bekannt gemacht, der anders aussah.
Anders aussehen, was hieß das bei euch?
Jörg: Na, du hast ja die alten Fotos von uns gesehen. Waver halt.
Heiko: Damals hat man eigentlich jeden angequatscht, der so ein bissl anders aussah. Wenn man jemanden im Bus gesehen hat, der die Haare an den Seiten abrasiert hatte, dann hat man den angelabert.
Ab 1990 habt ihr dann im Kassablanca donnerstags die Black Channel Party gemacht. Wie kam es dazu?
Heiko: Genau, die ersten Black Channel-Parties waren im Villengang, dem ersten Domizil des Kassa. In dem Gebäude saß eigentlich der „Klub der Intelligenz“. Da haben sich Professoren und sowas getroffen. Und dann gab es noch einen Nähzirkel. Der hintere Raum war voll Nähmaschinen. Und weil die nichts mit uns zu tun haben wollten, sind die sofort ausgezogen. Das waren halt Professoren, die wollten nichts mit Kassablanca und Kiffern und Schwulen oder irgend sowas zu tun haben. Und dann haben wir dort gleich Disco gemacht. So Independent-Disco. Erst ging es los mit Punkbands und Ska, alles was so ein bisschen anders war. Und dann haben wir irgendwann angefangen mit Darkwave-Disco, und auch damit, den Raum zu schmücken, mit Laub und Efeu und solchem Kram.
In der DDR gab es 1989 etwa 170 “Klubs der Intelligenz”, sie waren eine Einrichtung des Kulturbundes der DDR und hatten in der Regel zwischen 100 und 2000 Mitglieder. Der Jenaer Klub der Intelligenz hatte seinen Sitz im Villengang, im Gebäude des Fischer-Verlags. In den 70er-Jahren war er teilweise auch Treffpunkt der “Jugendopposition”. Am 17. November 1976 fand hier eine Lesung des Schriftstellers Jurek Becker statt. “Im Publikum sind viele junge Leute. Gespannt warten alle darauf, was Jurek Becker zur Ausbürgerung (von Wolf Biermann, C.G.) sagen wird. (…) Plötzlich wird aus der Lesung eine politische Veranstaltung. Der offizielle Veranstalter bekommt Angst und bricht nach wenigen Minuten die Diskussion ab. Er schickt alle Gäste nach Hause.” (www.jugendopposition.de)
Jörg: Die halbe Woche hab ich im Wald Laub gesammelt, und dann haben wir das auf die Tanzfläche gestreut.
Heiko: Und mit Grabsteinen aus Polystyrol, und Tierschädeln und so nem Scheiß geschmückt. So ein bissl Friedhofsstimmung sollte das erzeugen, oder Waldatmosphäre. Jeder konnte da eigentlich was anderes empfinden. Wir hatten sogar mal einen echten Grabstein und einen echten Menschenschädel. Wir haben uns da gar keine Gedanken drüber gemacht, waren vielleicht auch bissl abgestumpft. Naja, unvorstellbar heute. Waren andere Zeiten. Den Schädel hatte ich mal in Wöllnitz gefunden, der lag einfach auf einer Mauer, als da Bauarbeiten waren auf dem Friedhof. Da ist Alf dann aber eingeschritten, das war ihm zu krass, pietätlos.
Jörg: Damals war das generell sehr verpönt, was wir da für ne Ästhetik gefahren haben. Die Nachbarn wollten jedenfalls nichts mit uns zu tun haben.
Heiko: Außerdem haben wir viele Kerzen aufgestellt und wenn du dann noch ‘ne Nebelmaschine hattest, da hast du dann schon so das richtige Gefühl reinbekommen. Zu Beginn war die Musik auch noch sehr gemischt, angefangen bei Dead Can Dance über Mittelaltermusik bis EBM, von New Wave, Punk bis Gothic Rock, Gitarre oder elektronisch, Synthiepop, alles in dieser Richtung konnte man da mit reinbringen, und deswegen hatten wir auch so viele Gäste. Weil die auch von überall herkamen. Aus Erfurt, aus Leipzig. Wenn die nicht kamen, kamen die anderen aus dem Erzgebirge und Chemnitz oder sonstwo. Wir hatten donnerstags immer 300 Leute. Manchmal waren da gefühlt nur zehn aus Jena dabei.
Das subkulturell stets hervorragend unterrichtete T-Mag (leider eingestellt) widmete dem Black Channel in der Ausgabe von Dezember 1996 eine ganze Seite. Dort lesen wir: “Ende 1990 ging es donnerstags los mit einer alles überspannenden Indie-Disko, bei der von Punk, Ostindie und Cure und Sisters of Mercy alles lief. Heiko hatte damals einen CD-Kaufrausch und so konnte er die neue Ware unters Volk bringen. Schnell wurde die Musik zunehmend düsterer und das Publikum auch. Bereits nach einem halben Jahr wurde der Donnerstags-Termin zur festen Dark-Wave-Institution. Zusätzlich fanden die ersten Konzerte statt. (…) Heute steht Black Channel schon lange nicht mehr nur für Dark Wave/ Gothic. Längst wird Donnerstags auch EBM, Industrial und 80er-Jahre Musik zu Gehör gebracht (…) finden im Kassablanca Wave und Industrial Partys statt. Natürlich auch nicht vergessen darf man die Sontagsparty Schrille Rille, bei der alles querbeet läuft. Die musikalische Heimat der beiden ergänzt sich perfekt: Jörg bedient den Dark-Bereich, Heiko die Industrial-Freaks. Wobei immer wichtig ist, daß kein Schund aus den Boxen quillt. Bands wie Lacrimosa oder Umbra et Imago haben keine Chance. (…) Auch sind bald die neuen, zusätzlichen Räume für das Kassablanca fertig, wobei Black Channel am 19.12.1996 eine inoffizielle Eröffnungsparty veranstaltet. (…) An ihr Publikum gerichtet verkünden die zwei nur eins: ‘Wir lieben euch alle’”
Jörg: Teilweise kamen sie auch aus Westdeutschland, weil die gelangweilt waren von ihren Diskotheken. Es gab zwar auch generell nicht viele, die dieses Genre bedienten, aber bei uns war es schon besonders. Ich kann mich an ein Pärchen aus Köln erinnern, das regelmäßig nach Jena gefahren ist, nur für unsere Partys.
Heiko: Ich hatte auch in jedem Kassablanca – im Villengang, im Paradiescafé und dann auch hier am Westbahnhof – einen Plattenladen: Schrille Rille.
Was war der Anlass für euch, dass ihr gesagt habt: Jetzt starten wir selbst eine Partyreihe?
Jörg: Na, weil wir es endlich durften.
Heiko: Ich war schon zu Ostzeiten Discjockey. Dafür musste ich sogar einen Lehrgang machen und eine sogenannte Einstufung. Ich hab aber keine Termine gekriegt, weil ich eine andere Diskothek machen wollte. Die ganzen FDJ-Jugendklubs wollten mich nicht reinlassen. Auftritte hatte ich erst ab 1990, da hab ich Alf kennengelernt, hab gesagt, hier, ich kann Independent-Disco machen, auch Bands und sowas organisieren, und da hat er gesagt, gut, machen wir mal. So fing das an.
Erzähl bitte mal was zur Einstufung. Was ist das?
Heiko: Du musstest erst einen Lehrgang machen, da haben sie dir erzählt, was so die Auflagen sind, wie viel Musik aus dem Osten du spielen musst, und wie man so Ansagen am Mikrofon macht zwischen den Titeln und sowas. Hauptsächlich musste man anwesend sein und seine Unterschrift kriegen, damit man die Einstufung machen konnte. Das war eine Art Prüfung, bei der ein paar Funktionäre im Jugendclub saßen, denen man praktisch vorspielen musste. Die haben dann entschieden, ob du geeignet bist, auf die Menschheit losgelassen zu werden. Das schwierigste war aber eigentlich, dass es gar keine Verstärker und Boxen zu kaufen gab, du musstest dir alles selbst bauen. Ich kannte einen, der hat eine Lichtanlage aus Trabantglühbirnen und Blumentöpfen gebastelt. Ich habe Bassboxen selbst gebaut, hab die 150 Watt-Lautsprecher umwickeln lassen auf 100 Watt. Und ein anderer Freund wusste, wie man einen Verstärker baut. Und dann haben wir uns zu dritt vor die Jury hingesetzt mit unserem zusammengestückelten Zeug, um unsere Einstufung zu machen. Die haben wir auch geschafft. Die Urkunde hab ich noch, sieht lächerlich aus, irgendsoein gelbes Blatt mit nem Stempel drauf vom Rat der Kultur der so. Hat mir aber wie gesagt nichts genützt.
Zum Ende der DDR gab es rund 7000 staatlich geprüfte “Schallplattenunterhalter” – was wenig mit dem zu tun hatte, was man sich heute so unter DJs vorstellt. In diesem Artikel über DJ Happy Vibes kannst du mehr über die besonderen Probleme der Ost-DJs mit Technik und Behörden erfahren. Die Doku “1-2-tip für immer – Disko in der DDR” gibt einen Eindruck in die damalige Party-,Trink- und Jugendkultur Ostdeutschlands.
Es gab eine Quote für Ost-Musik?
Heiko: Ja, 60 Prozent musste aus der DDR stammen. Das war aber schwierig, weil gar keiner Ost-Musik hören wollte. Zum Ende der DDR hin hörte ich zwar tatsächlich viel Musik, die in der DDR entstanden war, aber das waren Bands, die schon Richtung Punk gingen. Manche sind sogar bei DT64 gespielt worden, das war richtig gut eigentlich. So Sachen wie Feeling B (mit Keyboarder/Bassist Christian “Flake” Lorenz und Gitarrist Paul Landers, die später Teil der Band Rammstein wurden, C.G.), Die Skeptiker oder AG. Geige (mit Sänger Jan Kummer, Vater der Kraftklub-Mitglieder Felix und Till Kummer, C.G.). Die waren aber so halb verboten, und es gab sie nur auf Kassette. Damit hast du dann aufgelegt bei den Diskotheken. Ich musste immer haufenweise Kassetten vorspulen.
Jörg: Du hast immer zwei Leute gebraucht: der eine musste spulen, der andere legte auf. So haben wir übrigens als DJs zusammen gefunden. Ich musste meistens spulen.
Heiko: Ich war der erste in Jena, der mit CDs aufgelegt hat, besaß etwa 50 CDs, bevor ich mir überhaupt das erste CD-Laufwerk leistete. 50 CDs, aber keinen CD-Player. Weil die CDs aber auch so teuer waren! 35 DM, wenn du die normal gekauft hast, das war ein Haufen Geld. Irgendwann hab ich dann mal in Berlin auf dem Trödlermarkt entdeckt, dass da nur Leute waren, die so Sachen gehört haben wie ich, und dass die dort ihre CDs wieder verkauft haben, wenn sie kein Geld hatten. Da konntest du dann auf einmal für 10 DM CDs kaufen, und dann auch noch die Independent-Musik, die du sonst überall suchen musstest. Da hab ich mir erstmal einen ganzen Rucksack voll CDs gekauft.
Warum eigentlich Laub auf der Tanzfläche?
Jörg: Na, damit das aussieht wie im Wald. Wir haben ja auch richtig Bäume reingeschleppt. Und wenn es dann dunkel war zur Party, und da war noch Nebel, da konntest du dir richtig vorstellen, du bist in der Natur. Dann noch bissl düstere Musik und dann haben wir noch paar Räucherstäbchen angemacht.
Schön gruselig?
Jörg: In Bayreuth haben wir das zum ersten Mal gesehen, da sind wir nach der Wende mal hingefahren.
Heiko: In der “Etage”. Das war so ein richtig düsterer Klub, in der ersten Etage eines Hauses. Da stand der Sänger von „Das Ich„, Stefan Ackermann, am Einlass. Der hatte sich einen Totenkopf aufs Gesicht geschminkt und saß hinter einer Kerze allein am Einlass.
“Tod, Verwesung, Einsamkeit, Krieg – bei den Gruftis werden Schwermut und Tristesse zum Kult erhoben. (…) Besungen wird alles, was die Gesellschaft bedroht und die Menschheit zerstört. Mit Todessehnsucht und Weltuntergangsstimmung können sich beide trotzdem nicht identifizieren”, heißt es in dieser SWR1-Doku aus dem Jahr 1996 über die Musiker Bruno Kramm und Stefan Ackermann, die das Duo Das Ich bilden. “Ich bin mit Sicherheit kein Mensch, der den ganzen Tag nur traurig aus der Wäsche guckt. Ich bin sehr lebenslustig, ich weiß, dass das Leben mir sehr viel zu bieten hat. Aber die ganze Weltsituation im Moment macht mich schon teilweise sehr depressiv”, sagt Kramm. Stefan Ackermann erklärt, dass die Farbe Schwarz der Grundtenor sei, wenn man sich mit “Existenzialismus, den Randbereichen des Lebens und den Schmerzen des einzelnen Individuums in der modernistischen Gesellschaft” beschäftige. “Als Musiker haben wir die Möglichkeit, unsere Hass-Gedanken und unsere negativen Gefühle zu kanalisieren. (…) Entsprechend sind wir auch sehr ausgewogene Menschen”, so Ackermann.
Jörg: Die Etage in Bayreuth und der Zwischenfall in Bochum, das waren eigentlich so die bekanntesten Dark Wave Clubs in Westdeutschland. Das haben wir in irgendeiner Zeitschrift mal gelesen.
Heiko: Goethes Erben, Catastrophe Ballet, Preachers of Sadness und Artwork waren so Bands, die über der „Etage“ auch ihr Tonstudio hatten. Ich wollte schon immer solche Musik machen, und dort haben wir gleich die richtigen Leute kennengelernt und nach Jena eingeladen.
Jörg: Das war großartig, denn vorher als Teenager konntest du die Musik, auf die wir standen, in Clubs ja nie hören. Also, die DJs haben die vielleicht gehabt, aber nie gespielt.
Heiko: Bei uns musstest zum DJ gehen und dir das wünschen, Depeche Mode oder so, und dann hat der dich erstmal vorm Publikum beleidigt, „Ey, jetzt kommt was für die Fraggels!“, weil wir halt solche Haare hatten. Dann standen da meist auch ein paar Metaller, die uns paar aufs Maul hauen wollten. Das war eigentlich immer so ein Spießrutenlauf. Das war der eigentliche Grund, warum ich DJ werden wollte. Weil die, die es gab, nie unsere Musik gespielt haben.
Jörg: Außer man kannte halt den DJ, dann hat er mal zwei Titel gespielt.
In alten Interviews unterscheidet ihr häufig zwischen “Normalsterblichen” und euch. Was hat euch denn so anders gemacht?
Jörg: Wir wollten eigentlich einfach in Ruhe unsere Musik hören. Der Großteil der Leute, die Otto Normalverbraucher, die haben Antenne Thüringen gehört und sind wie die Roboter arbeiten gegangen und sahen alle gleich aus. Wir wurden immer diskriminiert. So wie wir rumgelaufen sind, das hat niemanden gepasst, wir wurden verprügelt. Die älteren Leute, wenn die uns gesehen haben in der Stadt, die dachten gleich: Katastrophe! Aber uns gings eigentlich nur um die Musik, nichts anderes.
Im Dezember 1995 organisierten Heiko und Jörg ein Konzert der Band Goethes Erben im Planetarium, das von rund 50 Neonazis angegriffen wurde. Etwa 600 Jugendliche aus der Gothic-Szene waren im überfüllten Planetarium und “dann geschah das Unfassbare: Die Rechtsradikalen stürmten das Gelände des Planetariums, versuchten in das Gebäude zu gelangen. Doch die Ordner des Kassablanca, das Anfang der 90er Jahre mehrfach von Neonazis angegriffen wurde, und des Planetariums reagierten blitzschnell, schlossen die Türen des Einganges und die zum eigentlichen Vorführ- und Konzertraum. Letztere waren nur von innen zu öffnen. In ihrer Zerstörungswut versuchten die Angreifer, den gläsernen Planetariumsumgang zu zerstören. Dies gelang nur teilweise, denn der bestand damals schon aus Panzerglas”, beschreibt Reporter Frank Döbert in der OTZ.
Döbert fand 2011 heraus, dass sich unter den 39 festgenommenen Neonazis damals auch ein gewisser Tino Brandt befand. Der war stellvertretender Vorsitzender der Thüringer NPD und einer der engsten vertrauten des NSU-Trios. “Er tauchte ab 1995 mit zunehmender Intensität in den jährlichen Thüringer Verfassungsschutzberichten auf. Was dort freilich nicht zu lesen war: Der damals 20-Jährige stand seit 1994 auf der Gehaltsliste der Thüringer Schlapphüte und erhielt als V-Mann mit dem Decknamen „Otto“ für seine Zuträgerdienste nicht gerade bescheidene Summen. Im selben Jahr 1994 war er einer der Initiatoren des „Anti-Antifa“-Netzwerkes, aus dem 1996 der „Thüringer Heimatschutz“ hervorging. Die Truppe machte sich mit zunehmender Militanz in ganz Thüringen bemerkbar, eines der Zentren ihrer Aktivitäten war Jena.”
Ein Interview mit Frank Döbert über seine gut 30-jährige Berichterstattung über das Kassablanca kann hier nachgelesen werden.
Wie sich das Kassa gegen Neonazi-Angriffe wehrte, beschreibt die ehemalige Sozialarbeiterin Ingrid Sebastian hier im Interview.
Hattet ihr eine bestimmte Motivation dafür, dass ihr euch durch eure Outfits und Frisuren so exponiert habt – insbesondere, wenn dadurch Prügel drohte?
Heiko: Hauptsache anders sein. Das was gerade als normal gilt, muss immer hinterfragt werden, auch heute.
Jörg: Ich kann nur sagen: Spaß. Mir hat das gefallen. Ich wollte mich nicht ausgrenzen, sondern einfach sagen: das bin ich. Unsere Klamotten haben wir auch viel selber gemacht, gefärbt und genäht. Und Haare färben war ja auch nicht ganz einfach.
Heiko: Du wolltest dir die Haare blond färben, und die sind einfach nur übelst gelb geworden. Da musstest du dann noch ‘ne Blauspülung drauf machen.
Jörg: Das ist dann auch mal schief gegangen, dann sind die Haare so lila geworden. Da haben dann immer alle gesagt, du siehst aus wie Margot Honecker.
Ich hab meine Haare damals weiß bekommen mit Wasserstoffperoxid aus der Apotheke. Aber das war halt schlecht für die Haare. Haarspray war auch so ein Thema. Gab es vor der Wende auch nicht. Wir kannten aber viele Friseusen, da haben wir uns Rat geholt.
Heiko: Das war vielleicht auch einfach die Jugendlichkeit, dass man sich ausprobiert. Mir hat Boy George immer gefallen, so wollte ich auch aussehen. Ich erinnere mich noch an den ersten Jungen in meiner Schule, der einen Ohrring hatte. Der musste zum Direktor, ist gefragt worden, ob er was gegen den Staat hätte. Das hatte gar nichts damit zu tun, du wolltest einfach nur einen Ohrring haben.
Und diese ganze düstere Symbolik? Grabsteine? Und immer nur Schwarz tragen? Wart ihr traurig?
Jörg: Ach, wir haben viele bunte Klamotten getragen. Ich glaub nicht, dass ich trauriger war als andere Leute. Das ist ein Klischee.
Heiko: Ich hatte alle Wellen schon durch. Die Musik hatte eigentlich immer Vorrang. Wenn ich 70er Jahre-Partys gemacht hab, hab ich dann halt auch mal ein rotes Hemd angezogen. Meist landet man aber doch irgendwie bei Schwarz. Traurig ist trotzdem das falsche Wort. Melancholie triffts eher, die kann ja auch mal schön sein.
Apropos Melancholie. Black Channel gibt es inzwischen nicht mehr im Kassa, das Publikum blieb irgendwann aus. Zum Wave-Gotik-Treffen in Leipzig kamen hingegen zuletzt 20.000 Besucher.
Heiko: Wir haben die Eröffnungsdisko für das erste Wave-Gotik-Treffen gemacht, 1992 in Leipzig. Die Veranstalter sind damals auch bei uns zu Gast gewesen, bevor sie ihr erstes Festival gestartet haben, und haben sich die Disko angeguckt. So haben wir die kennengelernt.
Warum seid ihr so erfolgreich und stilbildend für eure Szene geworden?
Heiko: Sowas gab es halt nirgendwo anders. Und hier im Kassa lief das ganz unkompliziert, da musste jetzt niemand überredet werden oder so. Ich konnte mit jeder Musikrichtung, die im Kassa lief, was anfangen, und hab da erstmal DJ gemacht nach Konzerten, und so hab ich Bands wie Deine Lakaien kennengelernt, bei denen auch Mikrofone auf- und abgebaut, und dann mit Alf geredet und eine eigene Partyreihe gestartet.
Wie kamt ihr auf den Namen Black Channel?
Heiko: Na erst wollte ich das Der Schwarze Kanal nennen, so wollte ich mich schon zu Ostzeiten nennen, aber das war mir dann zu politisch wegen Schnitzler. Bei der Indie-Disko hab ich auch manchmal die Anfangsmelodie vom Schwarzen Kanal gespielt.
Jörg: Erst wollten wir uns Danse Macabre nennen. Das stand sogar auf unserem ersten Plakat. Aber so hieß schon das Musiklabel von Das Ich. Also mussten wir uns dann anders nennen.
Sind die Black Channel Parties und alles was damit zusammenhing zu eurem Hauptberuf geworden, oder hattet ihr das quasi nebenbei gemacht?
Jörg: Ab 1993 hatte ich noch eine halbe Stelle hier im Kassa, bis 2000. Danach habe ich mich selbstständig gemacht im Konzert- und DJ-Bereich.
Heiko: Ich war auch 15 Jahre Vereinsvorsitzender hier im Kassa, hab aber eher im Hintergrund gewirkt. Ich war die meiste Zeit hauptberuflich DJ, aber halt nicht nur mit Black Channel. Als DJ Schrille Rille hab ich 70er, 80er, 90er-Jahre Disco gemacht. Ich habe aber auch House, Techno und andere Musikrichtungen aufgelegt, wofür ich dann jeweils andere Namen benutzt habe: Sweet Charlotte, Marita Schreck, Klangkrieger.
Was hat das Kassa für euch bedeutet?
Jörg: Ich hab hier wahnsinnig viel gelernt. Alls, was man im Zusammenhang mit Bühnen so lernen kann, alles hier learning by doing selbst beigebracht. Das nützt mir auch heute noch viel.
Heiko: Am Anfang war das Kassa für mich alles. Deswegen bin ich da auch große Risiken eingegangen, hab für Kredite gebürgt und sowas. Wir standen ja öfter mal vor einem Schuldenberg. Riesen Strom- oder Telefonrechnungen, weil jemand seine Mutter in Bayern angerufen hat, war ja alles sauteuer noch damals, oder jemand hat so eine 500 Watt-Kanne mal angelassen beim Aufbau, solche Sachen. Wir haben auch beide in der Küche mitgearbeitet, wo es auch oft Verluste gab, weil wir nur die billigen Sachen wie Pommes verkauft haben, und die teuren Sachen hat dann das Personal gegessen. Oder Leute, die haben anschreiben lassen, und sind dann einfach verschwunden irgendwann, und wir saßen da mit der Rechnung. Das waren immer solche Sachen, wo man dann auch jemand wie Alf braucht, der da ein Machtwort spricht. Für sowas war ich nicht der Typ.
Christian Gesellmann: Das Kassa feierte letztes Jahr seinen 30. Geburtstag! Ein Jahr lang werde ich mich als Stadtschreiber mit den Menschen treffen, die diesen einzigartigen Verein und Club geprägt haben, und ihre Erinnerungen aufschreiben – und natürlich mit Ihnen/dir teilen, hier auf diesem Blog, auf Facebook und Instagram.
Welche Geschichten und Erinnerungen verbinden Sie/verbindest du mit dem Kassablanca? Haben Sie/ hast du noch irgendwo alte Fotos von Ihnen/dir und Ihren/deinen Freunden im Kassa? Ich freue mich auf Post an: allesgute@kassablanca.de
Und hier ein zeitloses Videodokument, Jörg Drochner 1/2 Black Channel 1996 im Winzerclub Jena. Danke an Kaktus & Hinterhofproduction. https://www.youtube.com/watch?v=tcco5G05cBs
Ja, Christian, und dieser moderige Geruch wegen dem Laub… möcht nicht wissen, was da noch so alles so mit in den Laden kam in den Säcken;) Ich hatte damals immer donnerstags ungern Tresendienst, stattdessen in der Bar musikalisch ausbalanciert… aber Kult war es schon. Und sonntags die Woche beschließen mit Dudi auf der Tanzfläche und DJ Schrille Rille, der unsere Wunschmusik parat hatte und der mir in seinem Plattenladen abgefahrenes Musik verkaufte. Horizonterweiternd war das… Aber, Herr Gold, es gab doch noch ne andere Independentdisko? Gedächtnislücke… Es wird wirklich Zeit, sich dann vor Ort wieder treffen zu können.
Grüße von der Inge
Ich kann mich noch gut an die gewaltigen Aufräumaktionen am Freitag erinnern…..😁
Wunderbar! Christian wir müssen dringend mal reden! Ich hab mal wieder Pippi in den Augen. Wie neulich bei Inge. Als Fan vom ersten Tag an, als später selber Aktiver im Laden, bis heute! Herrlich. Mit besten Grüßen Oliver Goldt