Dr. Margret Franz studierte im damaligen Leningrad Philosophie und Soziologie, bevor sie für ihre Promotion zur Theorie der Idealtypen von Max Weber nach Jena kam. Als ihr Vertrag an der Friedrich-Schiller-Universität Jena nicht verlängert wurde, wechselte sie 1994 an das Jenaer Kulturamt und übernahm 1996 die Produktionsleitung der Kulturarena. Bei der Gründung von JenaKultur wirkte Franz federführend mit und war bis zu ihrem Ruhestand 2013 erste Werkleiterin. Heute sitzt sie für Bündnis 90/Die Grünen im Jenaer Stadtrat.
Als Sie ans Kulturamt der Stadt Jena kamen, geschah dies im Rahmen einer ABM-Stelle. Was waren Ihre Aufgaben?
Damals war Norbert Reif Kulturamtsleiter. Es gab ein regionales Projekt, das mit der Europäischen Kulturhauptstadt Weimar 1999 zusammenhing. Als relativ kleine Stadt hat Weimar versucht, die Region Jena, Erfurt und das Weimarer Land mit einzubeziehen. Es wurden zahlreiche Projekte rund um das Thema Europa initiiert. Dort habe ich an einer Reihe mitgearbeitet, die die Geschichte und Kultur kleinerer europäischer Länder vorstellte. Es begann 1995 mit Norwegen, dann kam Tschechien, Niederlande und Ungarn – immer ein osteuropäisches und dann ein westeuropäisches Land im Wechsel. Das war ungeheuer spannend für uns und das Jenaer Publikum.
Dann kam es zu einem Wechsel in der Produktionsleitung der Kulturarena und Norbert Reif fragte mich, ob ich Lust hätte, die Kulturarena zu managen. Ich machte große Augen, denn eine solche Aufgabe war völlig neu für mich. Er war sich aber sicher, dass ich das kann und hat viel Vertrauen in mich gesetzt.
Sie wurden Produktionsleiterin?
Genau, parallel zu den laufenden Projekten habe ich 1996 die Produktionsleitung übernommen. Das war äußerst spannend, aber natürlich auch sehr anstrengend. In den Jahren habe ich meine Familie nicht viel gesehen. Aber zum Glück waren meine Kinder damals schon sehr selbstständig und es ist aus allen etwas geworden (lacht).
Was verbirgt sich hinter der Produktionsleitung?
Man kümmert sich eigentlich um alles. Es geht damit los, die gesamten Verträge aufzubereiten und mit den Vorgaben der verschiedenen Agenturen abzugleichen. Daraus ergeben sich technische Anforderungen, Wünsche für Catering und Übernachtung. Das muss alles rechtzeitig entsprechend der Vorgaben einer Stadtverwaltung ausgeschrieben werden. Die Budgetverwaltung liegt in den Händen der Produktionsleitung. Auch die Gastronomie und die Abstimmung der einzelnen Stände muss erledigt werden. Hinzu kommen die Akquise von Helfern, die Organisation des Fuhrparks, die Ausgabe der Tickets an die Vorverkaufsstellen und die Öffentlichkeitsarbeit. Ein großer Termin war immer die Bekanntgabe des Programms im Mai. Zunächst wurde alles noch analog über Fax, Telefon und Brief gemanagt.
Ich hatte jeden Tag eine wahnsinnig lange To-Do-Liste, denn wenn der Einlass und später das Konzert begannen, musste alles stimmen und am nächsten Tag wieder alles sauber sein. Der Dienst ging während der sechs Wochen meist von 11 Uhr morgens bis 2 Uhr in der Nacht. Und nach den sechs Wochen begann die Nachbereitung.
Man glaubt gar nicht, wie viel da dranhängt. Ich erinnere mich an eine Sitzung des Kulturausschusses, bei der ich anhand einer Präsentation vorgestellt habe, was alles zu machen ist. Da waren alle still, auch die, die dachten, die Kulturarena läuft von alleine.
Das klingt nach sehr vielen Aufgaben, die sicher zum Teil neu für Sie waren.
Es war vieles neu für mich und ich musste mich auch erst sortieren. Das erste Jahr lief deshalb etwas holprig. Aber wir haben alles geschafft, vom Auftaktkonzert mit Miriam Makeba bis zum Abschluss mit den Einstürzenden Neubauten.
Neue Aufgaben sind andererseits oft mit einer steil ansteigenden Lernkurve verbunden.
Organisieren liegt mir im Blut. Letztlich geht es darum, Aufgaben zu erkennen, einen Plan zu erstellen und diesen abzuarbeiten. Man darf nicht warten, bis Dinge herangerückt sind, denn dann verfällt man in Panik. Das kannte ich bereits von anderen Projekten. Aber die Kulturarena war natürlich eine andere Nummer, gerade wenn es darum ging, mit unverhofften Problemen umzugehen. Meine Devise war immer: Je besser ich vorbereitet bin, desto besser kann ich spontan reagieren.
Wir hatten mit Absagen zu tun, mit vergessenen Musikinstrumenten, Bands kamen zu spät und konnten deshalb keinen Soundcheck machen. Dann galt es, das Publikum zu beruhigen und die richtigen Worte zu finden. Es muss einfach reagiert werden und in solchen Momenten wächst man über sich hinaus. Man glaubt gar nicht, was man alles kann, wenn es notwendig ist.
1999 traten Sie die Nachfolge von Norbert Reif an. Es gab Stimmen, die der Kulturarena einen Abfall ins Provinzielle prophezeiten.
Die Sorgen waren durchaus berechtigt. Es ging schließlich auch darum, ob die Zusammenarbeit mit Lutz Engelhardt weitergeführt werden soll. Aber wir waren eine kleine Gruppe, die für den Erhalt der Kulturarena kämpfen wollte und zwar so, wie sie sich über die Jahre entwickelt hatte. Es galt, das Konzept und die Idee von Norbert Reif weiterzuführen. Er war der Erfinder der Kulturarena und das sollte er auch für immer bleiben.
Ich hätte es wirklich schade gefunden, wenn wir ins Provinzielle abgedriftet wären. Es gab schließlich auch immer Kritiker und Gegner der Kulturarena. Aber wir waren immer der Meinung, dass die Kulturarena für die Entwicklung und das Selbstverständnis der Stadt eine zentrale Rolle einnimmt – für eine moderne Stadt, die international angekommen ist.
Ich komme aus dem universitären Umfeld und für viele internationale Dozenten war es kaum vorstellbar, dass in Jena Größen wie Patti Smith, Maceo Parker oder Giora Feidman auf der Bühne stehen.
Es hat uns stolz gemacht, dass wir ein gewisses Flair mitten in der Stadt mitgeprägt haben. Immer wieder erinnerten sich Bands daran, dass sie in einem Theater auftreten, dann öffnet sich ein eiserner Vorhang und sie stehen im Freien und blicken auf die Skyline von Jena. Diese Perspektive hat sich vielen eingeprägt.
Genau dieses urbane Flair im Sommer durfte nicht verloren gehen. Die Kulturarena ist schließlich auch Maßstab für vieles geworden, was sonst an Kunst und Kultur in Jena geschaffen wurde.
Mein persönlicher Eindruck ist, dass Jena, trotz seiner Größe, als sehr internationale und offene Stadt wahrgenommen wird – mit ein Verdienst der Kulturarena?
Ich glaube, dass die Kulturarena daran einen großen Anteil hat. In Gesprächen ist mir das immer wieder zugetragen worden. Große Firmen, die die Kulturarena über Jahre hinweg mit Sponsoring unterstützen, legen genau darauf viel Wert. Die Internationalität und die Verständigung, die der Kulturarena innewohnen, repräsentieren oft ihre eigene Unternehmensphilosophie.
Lässt sich das auch auf das Publikum übertragen?
Durch die Kulturarena haben viele Leute Musikstile kennen und lieben gelernt, von denen sie vorher nichts wussten. Damit geht einher, dass eine Offenheit für andere Menschen, andere Musik und andere Kulturen entsteht. Dieser Effekt ist besonders stark, wenn er sich über die Sinne vollzieht, dann fallen auch Schranken oder lösen sich Vorbehalte auf, die man möglicherweise gegen andere Kulturen hatte. Ich erinnere mich gern an die Konzerte von Goran Bregovic and his Wedding and Funeral Band oder Ruben Gonzales, bei denen die Leute wirklich beseelt nach Hause gingen. Wenn man Musik und Kultur anbietet, muss das in den Köpfen und Herzen der Menschen bleiben. Sie müssen darüber reden, einander erzählen, was sie in der Kulturarena erlebt haben.
Auf der anderen Seite bekamen Künstler wie René Aubry hier ein Publikum, das sie auf den Bühnen ihrer Heimatländer nicht hatten. Als Crew waren wir sehr stolz, dass wir geholfen haben, manche Künstler bekannt zu machen.
Die nächste Herausforderung stand 2005 mit der Gründung von JenaKultur an. Was hat sich dadurch für die Kulturarena verändert?
Die Kulturfinanzierung in Jena ist mit JenaKultur auf andere Beine gestellt worden. Vielleicht war das eine Erkenntnis aus der langjährigen Arbeit als Produktionsleiterin der Kulturarena: dass es wichtig ist, die Finanzen im Blick zu halten. Ich wollte nie den Kritikern Recht geben, die meinten, die Kulturarena könne nicht mit Geld umgehen. Das Wichtigste war, dass bei Künstlerausfällen das finanzielle Risiko nicht bei einer Person oder Firma lag, die im nächsten Jahr das Budget gekürzt hätten, sondern die Stadt und später JenaKultur weiterhin Veranstalter geblieben ist. Man braucht einen festen Betrag, damit man auf dessen Grundlage Verträge machen kann. Mit JenaKultur gibt es eine Zuschussvereinbarung über mehrere Jahre. Mit diesem Budget kann man langfristig planen und davon profitiert nicht nur der Eigenbetrieb sondern auch die Kulturarena. Das ist in Thüringen einmalig.
War die Gründung von JenaKultur somit vielleicht zwingend notwendig, um ein Festival über so viele Jahre etablieren und erhalten zu können?
Auf diese Weise konnten das Festival und auch der inhaltliche Zuschnitt gesichert werden. Es war immer unser Ziel die Kulturarena finanziell auf stabile Füße zu stellen und auf der anderen Seite weiterhin Musikgeschmack zu bilden. Davon profitieren auch andere Veranstalter. Wer erfolgreich bei der Kulturarena war, kommt vielleicht für ein Clubkonzert im Kassablanca oder F-Haus in Frage und umgekehrt. Damit unterstützt man das Kulturportfolio der gesamten Stadt. Kulturförderung heißt ja nicht nur Geld ausgeben, sondern auch inhaltliche Angebote zu schaffen, die von den Bürgerinnen und Bürgern wahrgenommen werden können. Das ist die Philosophie, die Norbert Reif mitgebracht hat, das Spektrum so zu gestalten, dass das Kulturangebot der Stadt insgesamt profitiert – auch die Vereine, Privatleute und andere Einrichtungen. Das sind Maßstäbe und hinter die darf man nicht zurückfallen. Und um die zu erhalten muss man als Stadt Geld ausgeben oder das Risiko übernehmen.
Sie sind selbst ein gutes Beispiel für personelle Kontinuitäten in der Kulturarena. Wie wichtig ist es für ein Festival, dass Personen über mehrere Jahre und vielleicht auch auf wechselnden Positionen involviert sind?
Die Kulturarena ist so etwas wie eine kleine Familie, da ist es wichtig, dass man sich aufeinander verlassen kann und die Chemie stimmt. Es ist eben durchaus auch eine anstrengende Zeit.
Auf der anderen Seite entsteht ein unglaublicher Zusammenhalt, eine Art “Geist der Kulturarena”. Zum Teil bilden ehemalige Mitarbeiter aus den 1990er Jahren Communities in Städten wie Leipzig. Die treffen sich noch heute und tauschen sich aus. Es haben sich auch einige Paare in der Kulturarena gefunden, von denen manche später sogar geheiratet haben.
Die Zeit, die man miteinander verbringt, ist sehr intensiv und das schweißt zusammen.
Für junge Menschen, die sich im Kulturbereich engagieren wollen und dort ihre Zukunft sehen, ist die Kulturarena sicherlich ein gutes Pflaster.
Ein Gruß von Florian Ernst
30 Jahre Kulturarena – gemeinsam mit Friedrich Herrmann genieße ich ein Privileg, das sonst der „Sendung mit der Maus“ vorbehalten ist und darf hinter die Kulissen blicken. Ich freue mich auf die Eindrücke und darauf, sie zu teilen.