„Jena vor uns im lieblichen Tale“
schrieb meine Mutter von einer Tour
auf einer Karte vom Ufer der Saale,
sie war in Kösen im Sommer zur Kur;
Mit diesen launigen Versen beginnt Gottfried Benn sein 1926 erschienenes Gedicht Jena und hält mit der ersten Zeile einen Eindruck fest, der auch heutigen Bewohner:innen und Gästen der Stadt vertraut sein dürfte. Jena! – das ist die Licht- und Universitätsstadt inmitten der Natur, Hightech-Standort und Wirtschaftszentrum am Ufer der Saale, die von den nah gelegenen Bergen imposante Ansichten bereithält. Besonders in lauen Sommernächten, wenn die erleuchtete Stadt wie ein Teppich aus funkelnden Diamanten zwischen den Tälern liegt, man auf einer Bank am Rande des Waldes sitzt und sich – einen geliebten Menschen im Arm – erinnern mag, dass Jena nicht nur die Stadt der Optik, sondern auch die Wiege der Romantik ist.
Ebenso (oder eher so ähnlich) erging es bereits dem Philosophen Johann Gottlieb Fichte, in dessen ehemaligem Wohnhaus heute das Museum Romantikerhaus Jena beheimatet ist. Denn kurz bevor Fichte das Wohnhaus am Rande der Stadt erwirbt, schreibt er 1794 begeistert an seine Frau Johanne nach Zürich:
„Ich habe mir da bei Jena schon ein Lieblingspläzgen gewählt, wo es mir einigemal sehr wohl gefallen hat. Da wollen wir so mit einander hin spazieren […] und die Mondschein Abende da zubringen.“

Wo dieses „Lieblingspläzgen“ Fichtes gewesen ist, wissen wir nicht. Vielleicht irgendwo im schon damals nahgelegenen Paradiespark oder am Ufer der Saale, vielleicht aber auch tatsächlich auf einem der nahen Berge. Dort hätte sich des Nachts allerdings kein Anblick der leuchtende Hightech-Stadt eröffnet. Denn um 1800 zählte Jena gerade einmal 4.000 Einwohner und war nicht viel größer als der heutige Innenstadtbereich. Fichte hätte also nur die Umrisse einer kleinen Stadt erkennen können, auf deren Dächern sich das Licht des Mondes spiegelte.
Bei Lichte gesehen, hat aber schon Fichte die Stadt im lieblichen Tale bewundern können. Und er ist nicht der einzige gewesen. Auch die Frühromantiker, die es wie zahlreiche andere Gelehrte um 1800 in die „Stapelstadt des Wissens“ (Goethe) an der Saale zog, berichteten immer wieder von der imposanten Natur, die Jena umgibt. Dorothea Veit – die spätere Frau des Romantikers Friedrich Schlegel – berichtet etwa an eine Freundin nach Berlin:
„Aber nach Jena müssen Sie reisen, die Gegend von Leipzig hier her ist so schön, und romantisch, daß Sie sie sehen müssen, es würde ein neues Leben für Sie angehen, in diesen Thälern, und Felsen […]“
Auch der junge Starphilosoph Schelling bewunderte die Umgebung von Jena, auch wenn er für die Stadt selbst erst einmal wenig lobende Worte übrighatte:
„Das weltberühmte Jena ist ein kleines – zum Teil häßlich gebautes – Städtchen, wo man nichts als Studenten, Profeßoren und – Philister sieht. Es ligt romantisch zwischen Bergen, [und hat] von Weimar her eine wirklich schöne Lage.“
Und zuletzt wusste auch August Wilhelm Schlegel Gutes über Jena und die Natur zu berichten, woran seine Frau Caroline offensichtlichen Anteil hatte:
„Es freut mich sehr daß Carolinen die hiesige Gegend [um Jena] so gut gefällt; mit ihr zusammen finde ich sie selbst schöner da sie mir vorher fast melancholisch vorkam.“

All diese Stimmen aus dem Kreis der Frühromantiker verdeutlichen, dass die Naturnähe Jenas schon vor 200 Jahren als ein Aspekt der Lebensqualität angesehen wurde. So vertraut es uns heute aber erscheinen mag, Landschaften als etwas Schönes wahrzunehmen, das man interessenlos genießen und zum Zwecke der körperlichen oder emotionalen Erbauung durchwandern kann, so wenig selbstverständlich ist es. Denn lange Zeit nahmen die Menschen die Landschaft als bedrohlichen Naturraum wahr, den es urbar zu machen galt.
Seinen Ursprung hat die gezielt sinnliche Wahrnehmung der Gegend um Jena in den Jahrzehnten um 1800. Es waren jedoch nicht nur Dichter und Philosophen der Romantik, sondern auch zahlreiche bildende Künstler, die nicht nur die Gegend um Jena, sondern auch die Landschaft entlang der Saale als schön, idyllisch und bildwürdig entdeckten.
Einer Auswahl dieser Künstler ist die aktuelle Wechselausstellung am Romantikerhaus Jena gewidmet. Sie versammelt nicht nur historische Ansichten der Stadt Jena, sondern auch solche, die entlang des Saaleufers entstanden.
Einer der ersten Künstler, die den Flusslauf der Saale in künstlerischer Absicht bereisten, war der aus Leipzig stammende Carl Benjamin Schwarz. In seiner Bilderserie Reise an der Saale aus dem Jahr 1786 hält er mehrere Reisestationen in Umrissradierungen fest und zeigt markante Gebäude wie Ruinen und Schlösser, aber auch Szenen des alltäglichen Lebens. Dabei handelt es sich bei den Bildern zwar um detailgetreue Ansichten der jeweiligen Gegend, jedoch auch um künstlerische Darstellungen, in denen traditionelle Kompositionsmuster, Staffagefiguren oder eine kalkulierte Lichtregie zum Einsatz kommen.
Eine ähnliche Kombination aus naturgetreuer Ansicht und idyllischer Komposition lässt sich auch auf Bildern anderer Künstler beobachten, die sich insbesondere von der Gegend um Jena angezogen fühlten. Zu ihnen gehören etwa Jakob Wilhelm Christian Roux, Friedrich August Richter oder Christian Gotthilf Immanuel Oehme. Ihre Bilder zeigen Jena detailgetreu am Ufer der Saale, umschlossen von hoch aufragenden Bergen. Nicht selten ergänzen sie die Darstellungen aber durch Schäfer, Wanderer oder gar schreibende Figuren in der Landschaft, sodass die Stadt wie ein kleines Arkadien, als Ort des Geistes und der Musen präsentiert wird.
Die Ausstellung am Romantikerhaus Jena versammelt neben einer Auswahl der Umrissradierungen von Carl Benjamin Schwarz zahlreiche Ansichten der Stadt Jena um 1800. Sie geben Einblick in die Landschaftserfahrung vor über 200 Jahren, die unserer Wahrnehmung der Natur ähnlicher ist, als man auf den ersten Blick glauben mag.
Die Ausstellung ist noch bis zum 14. September zu sehen und vielleicht ein Geheimtipp für regnerische Sommertage? Und wo ist eigentlich Ihr „Lieblingspläzgen“ in Jena, liebe Leser:innen? Schreiben Sie uns in die Kommentare!
