Vom Kulturhaus zum Kultur- und Kongresszentrum
Wie alles begann:
Am 14. Dezember 1899 bewilligte die Verwaltung der Carl-Zeiß-Stiftung die erste Rate für den Bau des Volkshauses Jena. Zwischen 1901 und 1903 wurde das Volkshaus schließlich zwischen Lutherstraße und Carl-Zeiß-Platz erbaut und am 1. November 1903 feierlich eröffnet. Zuständig für die Organisation von Bau und Ausstattung war Siegfried Czapski. Bauherrin war die 1889 gegründete Carl-Zeiß-Stiftung, die nach Universitätsmechaniker und Unternehmer Carl Zeiß benannt und vom Jenaer Universitätsprofessor für Mathematik und Physik Ernst Abbe gegründet wurde. Ernst Abbe war es auch, der dem Haus den Namen „Volkshaus“ gab. Es sollte ein Ort für das Volk sein. Ein Ort der Volksbildung, der überparteilichen Bildungsarbeit, der wissenschaftlichen Weiterbildung und vor allem auch ein Ort der Musik, der Dichtung, darstellenden und bildenden Kunst sowie der Geselligkeit. Der Volkshaussaal verfügte über eine Kapazität von 1.400 Plätzen. Für Veranstaltungen standen neben dem großen Saal das zweigeteilte Foyer, der kleine Saal und der Oberlichtsaal zu Verfügung. Im viergeschossigen Ostflügel befanden sich ab 1902 die Räumlichkeiten der Ernst-Abbe-Bücherei Jena, deren vorhergehendes Domizil am Löbdergraben zu klein wurde, sowie einige kleinere Räume, Angestellten-Wohnräume, die Geschäftsräume der Volkshochschule Jena und das Schaeffermuseum mit dem benachbarten Schaeffersaal.
Bis 1933:
Im Volkshaus Jena tagten Bürgerversammlungen, der Gewerkschafts- sowie Glasarbeiterverband. Es war von Anfang an eine Stätte der deutschen Arbeiterbewegung. Auch kleineren Vereinen sollte hier Raum gegeben werden. Am 6. Februar 1904 fand die erste politische Versammlung im großen Saal statt. Der „Deutsche Friedenskongreß 1908“ tagte im Volkshaus Jena. Vorträge zur Frauenbewegung fanden hier ihr Podium und es wurden Ausstellungen des Jenaer Kunstvereins präsentiert. Während des ersten Weltkrieges wurden Antikriegskundgebungen abgehalten, ebenso Kriegsberichtsabende und Soldatenappelle veranstaltet. 1917 fand vor dem Volkshaus Jena der Generalstreik gegen Hunger und Krieg statt. Doch das Haus wurde auch Ort der Bildung und Bildungsarbeit. 1919 wurde die Volkshochschule Jena als erste städtische Volkshochschule in Thüringen im großen Saal eröffnet, dem folgten die ersten Kurse. Ebenso war das Volkshaus Ort für gesellige Veranstaltungen. So fanden von 1918 bis 1933 im großen Saal Jugendweihen statt. Es tagten wissenschaftliche Veranstaltungen des Unternehmens Zeiss. 1932 feierten Stadt, Universität und Goethe-Gesellschaft hier den 100. Geburtstag von Goethe. Mit der Eröffnung des Volkshauses begann eine neue Epoche der Musikkultur in Jena. Der Volkshaussaal wurde zum Mittelpunkt des musikalischen Lebens und bot zahlreiche Möglichkeiten für auswärtige Orchester und Musiker. 1906 wurde die Volkshausorgel eingeweiht. Ein eigenes leistungsfähiges Orchester gab es zu dieser Zeit noch nicht in der Stadt. Der 1. November 1934 war es, als Jena in Vorbereitung auf die 700-Jahrfeier der Stadt ein eigenes städtisches Sinfonieorchester erhielt, das 1969 in den Status einer Philharmonie erhoben wurde. Das Haus füllte sich mit Kultur. So gab es akademische Konzerte, verschiedene Musik- und Sängerfeste, Theateraufführungen und Opern, Kleinkunstbühne, Kostümfeste, Maskenbälle, Wohltätigkeits- und Vereinsfeste. Ganz im Sinne Abbes: Ein Haus für jedermann. Ein Haus der Geselligkeit. Ein Haus für das Volk. Doch das Volkshaus Jena war nach dem Ende des 1. Weltkrieges auch Forum für Wahlveranstaltungen von stark polarisierten Parteien und Organisationen. Ab 1923 intensivierte sich die Propagandatätigkeit der Nationalsozialisten. 1925 und 1932 sprach Adolf Hitler im Volkshaus.
1933-1945:
Mit dem Machtantritt Hitlers als Reichskanzler im Jahr 1933 begann ein Prozess der Gleichschaltung, der alle gesellschaftliche Bereiche einschloss, sei es Politik, Wissenschaft, Bildung, Kunst oder Kultur. Demokratische und humanistische Werte mussten einer umfassenden Volkserziehung weichen. Öffentliche Einrichtungen trennten sich nach und nach von ihren ursprünglichen Konzepten. Die Volkshochschule wurde bis 1945 in „Deutsche Heimatschule“ umbenannt. 1937 erfolgte das Aus des Jenaer Kunstvereins, zahlreiche Exponate und Sammlungsstücke wurden beschlagnahmt. Es gab Verbote, Vertreibungen, die Abbe-Jugend wurde in die Hitler-Jugend übernommen, Betriebsfesten wurde der Stempel aufgedrückt, die Auswahl von Musik wurde zentral gelenkt. Die Nazis nutzten zunehmend die Bühne für die Verbreitung ihrer Propaganda. Die Spielräume für Kunst und Kultur wurden mehr und mehr beschnitten und dienten zunehmend der Verherrlichung des Krieges und Huldigung deutschen Soldatentums. 1941 erlebten aberhunderte Menschen im Volkshaus eine Kriegsweihnacht. Der weitere Kriegsverlauf ließ Jenas Kulturleben versiegen.
Ab 1945:
Mit dem Wiederaufbau von Zeiss zog auch im Volkshaus Jena langsam wieder Leben ein. Die Schäden im Turmgebäude durch den Bombentreffer wurden beseitigt und Dach und Mauerwerk repariert. Die Jenaerinnen und Jenaer, froh darüber, den Krieg überstanden zu haben, strömten ab 1945 zu zahlreichen Konzerten, Opern und Operetten sowie Tanz- und Theaterveranstaltungen ins Volkshaus. Das Bedürfnis nach Unterhaltung und Geselligkeit war nach dem Krieg besonders groß. 1946 wurde die Volkshochschule Jena im Volkshaus wiedereröffnet. Das Werksorchester Zeiss erlebte eine Wiedergeburt. Es gab weitere Orchester, Kapellen, Chöre, Tanzkreise.
Ab 1949:
Die Nutzung der Räumlichkeiten im Volkshaus Jena blieb in der DDR-Zeit relativ unverändert. Es gab im Saalgebäude den großen Saal, das Foyer, den Oberlichtsaal und ab 1976 den Jugendklub Klubkeller (Modul). Im Durchgang zum Turmgebäude befanden sich der kleine Saal und der Schaeffersaal und im Turmgebäude war die Ernst-Abbe-Bücherei untergebracht. Dort wurden auch kleinere Räume genutzt, z. B. Raum 10/11. Im Erdgeschoss des Turmgebäudes befand sich die Zeiss-Werkstatt. All diese Räume wurden in der Zeit von 1949 bis 1989 vielfältig genutzt. So gab es natürlich die Zeiss-Betriebsfeiern, zahlreiche Konzerte nationaler und internationaler Künstler:innen, Philharmonische und Orgelkonzerte, Tanzveranstaltungen, Bälle, Vorträge und Bildungsveranstaltungen, Kabarett, Karneval, Theater, Ausstellungen, Veranstaltungen für Senior:innen und Jugend, Sportveranstaltungen sowie politische und nicht politische Feste.
Ab 1989:
Am 15. September 1991 hat die Stadt Jena die Trägerschaft des Volkshauses übernommen. Die Ernst-Abbe-Stiftung (aus der Carl-Zeiß-Stiftung hervorgegangen) wurde Eigentümerin des Hauses und die Stadt Jena Verwaltungsträgerin sowie Nutzerin. Mit der Wende gab es viele Umstrukturierungsprozesse im Volkshaus Jena. Es galt, ein völlig eigenständiges Management aufzubauen und volkshauseigene Veranstaltungen verschiedener Genres, Konzerte der Jenaer Philharmonie sowie Veranstaltungen der Ernst-Abbe-Bücherei Jena mit zahlreichen weiteren Formaten innerhalb des Volkshauses abzustimmen. Denn mit der Wende erhielt das Volkshaus Jena eine neue Funktion. Bisher war es das Kulturhaus des Kombinates VEB Carl Zeiss Jena. Nun konnten sich auch Fremdnutzer ins Haus einmieten. So etablierten sich seit 1990 feste Formate wie Immobilien-, Reise- und Berufsmessen, Jugendweihen, Abibälle, Immatrikulationen sowie andere Festlichkeiten, aber auch Kongresse und Tagungen. Feste Instanzen im Volkshaus blieben Veranstaltungen des Klubkellers Modul, des Tanztheaters Jena und des Sinfonieorchesters Carl Zeiss Jena.
Heute:
Beginnend 2017 wurde das Volkshaus Jena in mehreren Bauabschnitten vollständig saniert und zum modernen Kultur- und Kongresszentrum umgebaut. So wurden Dach und Fassade des Saalgebäudes erneuert. Der Ernst-Abbe-Saal, ehemals großer Saal, wurde komplett modernisiert und bietet 1.000 Besucher:innen Platz. Die neue vergrößerte Bühne ist mit moderner Bühnentechnik ausgestattet. Auch ton- und datentechnisch ist das Gebäude nun auf dem aktuellen Stand. Alle Räumlichkeiten sind inzwischen denkmalgerecht renoviert, neu ausgestattet und eingerichtet. Die Lüftungsanlage wurde komplett ausgetauscht, ebenso die Elektrohauptverteilung. Im Untergeschoss, im ehemaligen Klubkeller Modul, sind moderne Sanitäranlagen und eine Garderobe entstanden. Das ehemalige Foyer im Erdgeschoss erstrahlt jetzt als Max-Reger-Halle in neuem Glanz. Hier finden sich neben Kasse und Bar nun auch Loungebereiche, barrierefreie Toiletten und Schließfächer sowie eine Smartphone-Ladestation. Im Turmgebäude konzentrierte sich der dritte und somit letzte Bauabschnitt auf die Komplettsanierung des Inneren. Als neues Kultur- und Kongresszentrum wurde das Volkshaus am 10. September 2022 wiedereröffnet. Es soll neben den zahlreichen Kulturangeboten verstärkt ein Ort des wissenschaftlichen Austausches sein. Tagungen, Kongresse, Workshops und Konferenzen verschiedener Größenordnungen werden hier zukünftig realisiert. Die unterschiedlich großen Räume bieten dabei für jeden Anlass den richtigen Rahmen. Trotz der modernen Ausstattung erkennt man in den Räumen weiterhin den Charme des alten, historischen Volkshauses, z. B. die edle Vertäfelung an den Wänden oder die großen Holztüren.
Nach vielen Jahren der kontinuierlichen Entwicklung und dem großen Meilenstein der finalen Umgestaltung im Jahr 2022 steht dem Volkshaus Jena im nächsten Jahr ein weiteres Highlight bevor: Das 120. Jubiläum. Wir freuen uns, dass dieses geschichtsträchtige Gebäude bereits so vielen Generationen in Jena einen Ort der Kultur und des Austausches bietet. Und wir hoffen, auch Sie bald wieder dort begrüßen zu dürfen!
Grundlage dieses Beitrags war hauptsächlich die Chronik „100 Jahre Volkshaus Jena“, die zum Beispiel zur Ausleihe in der Ernst-Abbe-Bücherei Jena zur Verfügung steht.
Wie oft waren Sie schon im Volkshaus Jena? Welche Erinnerungen verbinden Sie mit dem historischen Gebäude? Hatten Sie bereits Gelegenheit, die neu gestalteten Räumlichkeiten zu entdecken? Wir freuen uns über Ihre Erfahrungsberichte!
Ein sehr schöner Artikel. Vielen Dank. Auch ich habe mit dem Sinfonieorchester Carl Zeiss Jena schon über viele Jahre schöne Proben und Konzerte im Volkshaus und erleben dürfen. Ein wunderschönes Haus mit tollen Möglichkeiten.
Umso mehr schmerzt es, dass vom Kulturhaus im Sinne Ernst Abbes („Ein Haus für jedermann. Ein Haus der Geselligkeit. Ein Haus für das Volk“) nach dem letzten Umbau nichts mehr übrig geblieben ist. Die Stadt Jena scheint tatsächlich Ernst damit zu machen, dass es ein reines Kultur- und Kongresszentrum wird. Die Saalmiete für Vereine hat sich fast verdoppelt. Die Miete für Probenräume fast verzehnfacht. Abgesehen davon, dass nach 18h eigentlich keine regelmäßige Besetzung des Hauses mehr da ist und damit Proben für Vereine (die in der Regel nur in den Abendstunden stattfinden können) fast nicht möglich sind.
So stehen unzählige Räume Nachmittags und Abends leer, während viele Vereine in Jena nicht wissen, wo sie hin sollen. Das war sicher nicht im Sinne des Erbauers.