Allgemein

Erklärung des Kulturrats Thüringen

Jonas Zipf, Präsident des Kulturrates Thüringen

zu den Beschlüssen der Konferenz der MP und der Bundesregierung zur Bekämpfung der Covid-Pandemie vom 28.10.2020

An:
MP B. Ramelow
Minister Werner, Hoff, Tiefensee & Holter
Staatssekretärinnen Beer & Kerst
Die Fraktionsvorsitzenden im Thüringer Landtag
Die kulturpol. Sprecher*innen der Landtagsfraktionen
CC:
Mitgliedsverbände des Kulturrats
Allianz der Thüringer Veranstaltungswirtschaft
Presseverteiler des KRT

Sehr geehrte Damen und Herren,

für die Mitgliedsverbände des Kulturrats Thüringen und insbesondere für die durch diese vertretenen  Träger des kulturellen Lebens im Freistaat Thüringen stellt die sich seit März dieses Jahres ereignende Corona-Pandemie eine existentielle Bedrohung und innere sowie äußere Zerreißprobe dar. Analog zu den komplexen und anspruchsvollen Entscheidungen, die Sie als politisch Verantwortliche in den letzten Wochen und Monaten zu treffen hatten, stellt sich die Situation zwischen wirksamem Infektionsschutz einerseits und wirtschaftlichen Notwendigkeiten sowie dem überbordenden Wunsch einer Gesellschaft andererseits, das gewohnte offene Leben wiederaufnehmen zu können, als regelrechte Zwickmühle der Erwartungen und Entscheidungen dar.
Uns liegt es daher fern, die gestern getroffenen Entscheidungen an dieser Stelle zu kritisieren. Vielmehr hängt aus unserer Sicht auch weiterhin alles am gemeinschaftlichen und solidarischen Willen zu entschlossenem, schnellem und pragmatischem Handeln.

In diesem Sinne begrüßen wir zwar die Einheitlichkeit, Transparenz und Nachvollziehbarkeit der gestern getroffenen Entscheidungen. Gleichzeitig müssen wir Sie darauf hinweisen, dass wir die Gefahr sehen, dass der benannte Konsens nun verloren gehen könnte. Denn die Situation stellt uns als Kulturverantwortliche vor erneute große Probleme, insbesondere der Kommunikation in Richtung unserer Nutzer*innen und unserer Mitarbeiter*innen. Für viele Kolleg*innen ist es kaum nachvollziehbar, dass ihre enormen  Kraftanstrengungen des letzten halben Jahres, ihre Angebote unter die Maßgaben eines engen und stringenten Infektionsschutzes zu stellen, ganz offensichtlich zu keiner veränderten öffentlichen und politischen Wahrnehmung ihrer Arbeit geführt haben. Während einzelne Branchen, insbesondere im Bereich der Veranstaltungswirtschaft, bis dato faktisch im Dauer-Lockdown verblieben sind, konnten andere Träger ihre Angebote unter extremen Einschränkungen wieder hochfahren und hygiene-sicher durchführen. Deutschlandweit ist uns kein einziger Infektionsherd bekannt, der aus einer Musikschule, einem Theater-  oder Konzertsaal, einem Museum oder einer Bibliothek resultierte. Dennoch mussten wir feststellen, dass in der gestrigen Beschlussvorlage das Wort „Kultur“ an keiner Stelle Erwähnung fand, unsere Belange stattdessen im Kontext von Freizeitgestaltung, Vergnügung und in einem Atemzug mit Fitnessstudios und Bordellen genannt, mithin also zum wiederholten Mal in einen Zusammenhang der Verzichtbarkeit gebracht wurden.

Wir fordern daher die politisch Verantwortlichen des Freistaats auf, die Anstrengungen der Kulturschaffenden Thüringens in ihrem Existenzkampf anzuerkennen, sich klar und deutlich zur Teilhabe- und Daseinsvorsorge zu bekennen, die unsere Mitglieder der Bevölkerung Thüringens tagtäglich bieten und in eine neue Phase der Verständigung und Verstärkung der gemeinsamen Instrumente zur Bekämpfung der Pandemie vor Ort und der Existenzsicherung der Träger des kulturellen Lebens einzutreten. Im Einzelnen wünschen wir uns:

  • eine enge Verständigung zwischen den Ressorts Kultur und Wirtschaft im Sinne der Kreativ-, insbesondere der Veranstaltungswirtschaft
  • darin: den Ausbau, die Schärfung, bürokratische Vereinfachung und bessere Vermittlung von Förderinstrumenten für freie Träger und Solo-Selbständige, insbesondere die vom Bund angekündigten sog. „außerordentlichen Wirtschaftshilfen“
  • eine enge Verständigung zwischen Staatskanzlei und den Ressorts Gesundheit sowie Bildung im Sinne der Belange der Kulturellen Bildung und Teilhabe
  • darin: die Weiteröffnung der Bereiche der Kulturellen Bildung, die nicht unmittelbar in die vorgestern getroffenen Entscheidungsbereiche fallen und analog zum Schul- und KiTa-Betrieb infektionssicher gestaltbar sind: Musik- und Jugendkunstschulen, Volkshochschulen, Bibliotheken, Museen (Bildungsangebote) etc.
  • die vorbereitende Schaffung eines landesweiten Perspektiv-Programms für die Thüringer Kultur mit vorhandenen und aufzustockenden Restmitteln im Rahmen eines abgrenzbaren Haushaltstitels
  • darin: eine transparente Darstellung von Entwicklungszielen aus der Krise heraus sowie eine entsprechende Vergabepraxis

Für jede Form der Rücksprache und weiterführenden Gestaltung der skizzierten Wege stehen wir sowohl im Rahmen von Spitzengesprächen, gerne auch mit der Thüringer Veranstaltungswirtschaft, als auch auf der Arbeitsebene jederzeit zur Verfügung.

Das Präsidium des Kulturrats Thüringen
im Namen seiner Mitglieder

  1. Dr. Martin Straub

    Und noch eine Reaktion von Herrn Dr. Martin Straub erhielten wir per Mail und möchten diese hier gern mit Ihnen teilen. Diskutieren Sie mit uns!

    „Zur Erklärung des Kulturrates Thüringen

    Mit Genugtuung habe ich die Erklärung des Kulturrates Thüringen gelesen und unterstütze sie voll inhaltlich. Was mich bei dem Vorgehen und Verfügungen der Bundesregierung stört, ist die mangelnde Differenzierung bei dieser Maßnahme. Sie lässt vermuten, dass man nicht wirklich weiß, wie stark die Bemühungen an der Basis, ob in den Orchestern, den Vereinen, den Theatern und bei den einzelnen Solisten waren, um den Kulturbetrieb aufrecht zu erhalten. Haben denn die „Verfüger“ nicht mitbekommen , mit welchem Enthusiasmus das Publikum nach der ersten Stilllegung auf die Angebote reagierte, ob etwa bei der Jenaer Philharmonie, den Inszenierungen des Theaterhauses Jena oder bei den Jazz und Lyrik Konzerten der Jazzmeile und des Lese-Zeichen e.V. Ich fürchte erneute Stillstände führen ins Koma, rauben den Menschen ihre Widerständigkeit. Gerade in diesen Zeiten wird die Kultur zu einem notwendigen Lebensmittel und fördert einen mündigen Bürger. Noch eines fürchte ich: dass eine solche undifferenzierte Einschränkungs-und Verbotspolitik die Leute Populisten aller Couleur und ihren militanten Sprachverführern bis hin zur AfD in die Arme treibt. Damit will ich betonen, ich verurteile diesen Lockdown nicht in Bausch und Bogen, fordere aber eine entsprechende Differenzierung, wohl wissend, dass es mehr Mühe macht. Sie lohnt sich.
    Martin Straub“

  2. Birgit Liebold

    Lieber Thommy,
    danke! Bleiben wir solidarisch und zuversichtlich!
    UND: Pass auf Dich auf!
    Herzliche Grüße
    vom JenaKultur-Team

  3. Thomas Eckardt

    Von Thomas Eckardt erreichte uns folgende Nachricht per Mail:
    „Hallo Jenakultur, wir halten die Stellungnahme schon für sehr hilfreich, notwendig und in der Sache gut begründet. Es zeichnet sich ja ab, dass es ein harter Winter werden wird (O-Ton Angela Merkel), das heißt doch wohl übersetzt, der Stillstand geht noch einige Monate weiter, und man sollte dies auch so kommunizieren. Je länger aber, umso schmerzlicher wird die Kulturbranche vermisst, und wie sich herausstellen wird, GEBRAUCHT werden!!! Stichwort „Systemrelevanz“ (hat das Potential zum Unwort des Jahres).

    In diesem Zusammenhang macht Mut, dass es unterdessen einige gewichtige Stimmen gibt, die von der Politik ernsthaft wahrgenommen werden, so scheint es jedenfalls. Mit Till Brönner meldete sich jetzt jedenfalls erstmals ein prominenter Szenekenner zu Wort, es ist Till hoch anzurechnen, dass er gerade jetzt seinen Einfluss geltend macht, wo er doch ganz gut durch die Pandemie kommen wird. Bei NZZ wird auch sehr ausführlich und tiefgründig die Crux der gegenwärtigen Situation beschrieben.

    https://www.nzz.ch/feuilleton/ausgeknipst-solange-die-kultur-der-erbauung-und-der-wertschoepfung-dient-darf-sie-spielen-sobald-es-ernst-wird-hat-sie-zu-schweigen-ld.1584227?mktcid=smsh&mktcval=E-mail
    https://www.nzz.ch

    Grüße Thomas“

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