Fakten und Fiktionen zum Kriegsende auf dem Tag der Stadtgeschichte 2020
Am morgigen Samstag, den 24. Oktober 2020 feiert der Jenaer Tag der Stadtgeschichte ein kleines Jubiläum:
Bereits in der 10. Auflage findet das Format statt und soll erneut wichtige Episoden in der Geschichte unserer Stadt beleuchten und kritisch diskutieren. „Erfreulicherweise bot unser Tag der Stadtgeschichte bereits in den letzten Jahren ein Forum, um kontrovers ausgetragene Debatten aufzugreifen, gerade auch mit Blick auf die wiederholten Umdeutungen in der Jenaer Denkmal- und Erinnerungskultur“, bemerkt dazu Jonas Zipf, Werkleiter von JenaKultur.
Der Jenaer Stadthistoriker Dr. Rüdiger Stutz verrät hier schon einmal, welchen Aspekten wir uns in diesem Jahr widmen werden. Nicht nur im ersten Themenblock „Amerikanisches Intermezzo“ muss dabei die Frage nach belastbaren Quellen gestellt werden. Auch wenn es im zweiten Teil um den Besuch Walter Ulbrichts Anfang Juli 1945 und die Wiedereröffnung der Universität gehen wird, muss zunächst sondiert werden: Was ist Geschichte – und was sind Geschichten?
Die 4. US-Panzer- und 80. US-Infanteriedivision des XX. US-Armeekorps stießen zwischen dem 10. und 13. April 1945 bis zur mittleren Saale vor. Ihr Vormarsch wurde durch die kampflose Übergabe Apoldas und die in letzter Minute erfolgte Kapitulation Weimars begünstigt. Die Stadt Jena wurde den alliierten Truppen hingegen nicht übergeben, obwohl der noch vom NSDAP-Oberbürgermeister Armin Schmidt zu seinem Nachfolger bestimmte Hans Dittmer mit einem US-Regimentsstab in der bereits besetzten Landeshauptstadt Verbindung aufnehmen konnte.
Der Tag der Stadtgeschichte am kommenden Samstag bietet die Möglichkeit, mit Experten über die militärischen Hintergründe des Kampfes um die Saalestadt zu diskutieren und zugleich mehr über die dramatische Situation vor Ort in jenen Tagen zu erfahren.
Vermutlich wird dabei auch der Umstand eine Rolle spielen, dass im Zuge der raschen Besetzung Mitteldeutschlands durch Verbände der 3. US Army und der überstürzten Flucht der meisten nationalsozialistischen Amtsträger nur wenige Schriftquellen aus diesen Wochen des unmittelbaren Umbruchs in Jena überliefert wurden. Das war auch den chaotischen Kommunikations- und Verkehrsbedingungen geschuldet, die zu dieser Zeit herrschten.
Die Situation verschärfte sich infolge des verheerenden Bombenangriffes vom 9. April 1945 auf den Saalbahnhof und das Reichsbahnausbesserungswerk in der Löbstedter Straße (Abb.) und durch häufige Attacken tief fliegender Jagdflugzeuge weiter. Mitunter sahen sich auch städtisch-kommunale Verwaltungen oder Versorgungseinrichtungen von der Außenwelt regelrecht abgeschnitten.
Wenn aber „harte“, weil belastbare Quellen nicht zur Verfügung stehen, wird es wahrscheinlicher, dass in stadtgeschichtlichen Darstellungen an die Stelle von Fakten Fiktionen treten. Im Unterschied zu „historischen Imaginationen“ (Richard J. Evans) zur Verknüpfung von quellenbasierten Fakten zu einem sinngebenden Text stellen Fiktionen mehr oder weniger Fantasieprodukte dar, also erfundene Geschichte(n).
Deshalb bleibt es eine erstrangige Aufgabe von Historikern, Ortschronisten und an der Stadtgeschichte interessierten Heimatforschern „neugierig“ zu bleiben und nach bislang unbekannten „Spuren“ der Vergangenheit zu suchen. Dabei macht es allerdings methodisch einen erheblichen Unterschied, ob es sich bei einem neu entdeckten „Überrest“ eines vergangenen Ereignisses um originale oder abgeleitete Quellen bzw. Zeugnisse handelt.
Als Originale werden entweder Aussagen von Augenzeugen oder aber Dokumente bezeichnet, die mit den Ereignissen zeitgenössisch sind, die sie bezeugen. Demgegenüber veröffentlichte die „jena-information“ 1991 einen allein auf Erinnerungsberichte gestützten Artikel, die zwar in den ersten Nachkriegsjahren verfasst worden waren. Doch diese Zeit wurde eben durch vielfältige Rechtfertigungszwänge und dem individuellen Drang nach „Entlastung“ von Mitschuld und Verstrickung geprägt, aber besonders durch deren Verdrängung. Der Titel des genannten Artikels lautete unter Bezugnahme auf das Mühltal, in das US-Infanterie vorgedrungen war: „Die Übergabe der Stadt Jena an die amerikanischen Streitkräfte am 13.4.1945“.
Heue können wir davon ausgehen, dass es sich um fake news handelte. In den ereignisnah entstandenen Berichten der amerikanischen Kampfeinheiten werden die Vorgänge vom 13. April 1945, vormittags 9.00 Uhr, nahe des Gasthofes „Carl August“ in einem ganz anderen Licht geschildert.
In Anbetracht der sehr begrenzten Teilnehmerzahl besteht für eine breitere Öffentlichkeit die Möglichkeit, den Tag der Stadtgeschichte online zu verfolgen. Auf der Website der Stadt Jena und auf der Facebook-Seite von JenaKultur wird ein Live Stream dieser Veranstaltung angeboten. Außerdem wird JenaTV am Sonntag, den 25. Oktober 2020 um 14.00 Uhr, eine Aufzeichnung im Lokalfernsehen senden.
Welche Geschichten haben Sie, liebe Leserinnen und Leser, vom Kriegsende in Jena gehört?
Am kommenden Samstag können Sie live mitverfolgen, was davon Fakt und was Fake ist!