Wir hatten in unserem Blogbeitrag vom 12. Februar angekündigt, dass wir von nun an regelmäßig vor allem über die geplanten Jenaer Projekte im NSU-Themenjahr KEIN SCHLUSSSTRICH! berichten wollen. Während der Zeitraum des bundesweiten Theaterprojektes erst im Oktober und November, exakt vom 21. Oktober bis 7. November, liegt, beginnt Jena bereits im Juni mit der künstlerisch-diskursiven Annäherung an das Thema.
Die mutige Mehrheit
Zunächst wird am 17. Juni 2021, 18 Uhr, der Jakob-Michal-Reinhold-Lenz-Preis für Dramatik der Stadt Jena an die in Basel lebende Dramaturgin, Performerin und Autorin, Antje Schupp (Jg. 1983), verliehen. Die Initiatoren des Wettbewerbs – Theaterhaus Jena, Freie Bühne Jena und JenaKultur – hoffen sehr, dass es eine Veranstaltung in Präsenz werden und die Preisträgerin im Theaterhaus Jena geehrt werden kann.
Auf jeden Fall wird man Antje Schupp aber über ihr dreiteiliges Projekt, das bis zum Herbst realisiert werden wird, kennenlernen können.
Die Arbeit „Die mutige Mehrheit“ umfasst drei Teile: 1. Einen Audiowalk „(Un)Sichtbare Spuren“, 2. Eine performative Veranstaltung, Mischung aus Workshops, Lectures und Performance zur Lage der Nation unter dem Titel „Deutschkunde 2021 und 3. eine bundesweiten Aktion „Die mutige Mehrheit“. Ziel ist es, den eigenen Nachholbedarf in der Auseinandersetzung mit der jüngeren Geschichte und Gegenwart in Deutschland ausfindig machen zu können und die „schweigende Mehrheit“ in eine mutige zu verwandeln, die bei Ausgrenzung und Rassismus den Mund aufmacht und Zivilcourage an den Tag legt. Diese Transformation wird künstlerisch in drei Schritten vollzogen: 1) als Individuum, 2) als Gruppe, 3) als Gesellschaft. Die Teile funktionieren unabhängig voneinander, wünschenswert ist natürlich ein Besuch bei allen drei.
In einem beschränkten und zweistufigen Wettbewerb – inspiriert von künstlerischen Wettbewerben in Bildender Kunst und Architektur – waren zunächst die von einer dreiköpfigen Vorschlagsjury aufgeforderten Bewerber:innen – Kollektiv Das Peng!, Dean Hutton und Antje Schupp – gehalten, eine ortsspezifische (site spezific) Arbeit im Jenaer Stadtraum zu konzipieren, die theatral und/oder intermedial geartet sein sollte, vorzugsweise in den Stadtvierteln Jena-Winzerla und/oder Jena-Lobeda, aus denen die verurteilten Täter:innen des sog. NSU stammen bzw. mit Bezug darauf.
Die Entscheidungsjury – bestehend aus Maik Pevestorff (künstlerisch-pädagogischer Leiter an der Freie Bühne Jena), Tunçay Kulaoğlu ( Filmemacher, Dramaturg, Kurator und Autor) und Thorben Meißner (Dramaturg am Theaterhaus Jena) – überzeugte die Konzeptskizze von Antje Schupp. Sie erhält damit den 8. Jakob-Michael-Reinhold-Lenz-Preis für Dramatik der Stadt Jena und mit ihm den Auftrag, ihre Idee umzusetzen.
Antje Schupp studierte Regie für Theater und Oper an der Bayrischen Theaterakademie August Everding sowie Theater-, Film- und Medienwissenschaft und Cultural Studies an der Universität Wien. Sie inszeniert Sprech- und Musiktheater, entwickelt eigene Produktionen in der Freien Szene, und arbeitet häufig in kokreativen Arbeitsprozessen sowie mit nicht-professionellen Darsteller:innen. Sie interessiert sich für zeitpolitische, ökologische und soziale Themen und verbindet in ihren Arbeiten unterschiedliche stilistische Elemente zu semi-dokumentarischen und semi-fiktiven Erzählungen.
Offener Prozess
Am Tag darauf, am 18. Juni 2021, findet die Vernissage der Ausstellung ”Offener Prozess”, die in der Kunstsammlung Jena präsentiert wird, statt.
Diese Ausstellung nimmt die Ost-Deutsche Realität insbesondere in Sachsen zum Ausgangspunkt, um eine Geschichte des NSU-Komplexes zu erzählen, die von den Migrationsgeschichten der Vertragsarbeiter:innen und den Kontinuitäten rechter und rassistischer Gewalt und des Widerstandes dagegen ausgeht. Dabei werden konkrete Ausformungen wie rechtsterroristische Gewalt, Alltagsrassismus und institutioneller Rassismus in ihren Wechselwirkungen beleuchtet. Ebenfalls werden die Verbindungen zu anderen Formen der Gewalt gegen bestimmte, als fremd markierte Personen, wie etwa Antisemitismus, in den Blick genommen. Sie ist als mobile, wandernde Ausstellung angelegt, die an verschiedenen Orten mit wechselndem Umfang, Vermittlungs- und Begleitprogramm stattfinden kann.
Analog zu Projekten wie dem dokumentarischen Theater NSU-Monologe und dem Tribunal NSU Komplex auflösen beginnt die Ausstellung explizit nicht mit den Taten des NSU, sondern mit dem Leben, das existierte und in das diese Taten getreten sind. Kuratorische und vermittlerische Strategien wurden für die Ausstellung zusammen gedacht und entwickelt. Zeug:innenschaft ist dabei ein integrales Element. Zeug:innenschaft bedeutet nicht nur etwas zu sehen, etwas zu hören, sondern ist eine emotional-kognitive Handlung und führt zu einer sozial-politischen Praxis des Sich-Verbindens. Indem wir den Zeug:innen des rassistischen Terrors zuhören, werden wir in diesen Momenten zu Zeug:innen ihrer Zeug:innenschaft und dadurch auch selbst Zeug:innen. Wir stellen uns solidarisch zu den Erzählenden und nehmen ihre Geschichten auf. Indem wir uns zu ihnen stellen, entsteht auf diese Weise eine politische Form des Gedenkens, die sich performativ im Akt des Zuhörens und Erzählens kollektiv herstellt und fortschreibt.
Mit dem Begriff NSU-Komplex wird deutlich gemacht, dass die Taten des NSU (intendiert und nicht-intendiert) durch Medien, Institutionen wie Ermittlungsbehörden, Verfassungsschutzämter, Politik aber auch durch die Öffentlichkeit unterstützt wurden. Der NSU hatte Vorläufer:innen und – umso schmerzlicher – jetzt auch Nachfolger:innen. Ausgehend von den Geschichten der Gast- und Vertragsarbeiter:innen will die Ausstellung auf die immer noch unaufgearbeitete Geschichte der rassistischen und rechts-motivierten Gewalt in Ost- und Westdeutschland schauen. Die Ausstellung soll es ermöglichen, sich für die Thematiken zu öffnen, sich an das Thema Rassismus zu wagen, sich zu trauen zu fragen und weiter recherchieren zu wollen, weil die Verbindungen zwischen den Ausstellungsinhalten und den Realitäten erkennbar werden. Handlungen sowie Verantwortlichkeiten, strukturelle Ungleichheiten, Fragen ungleicher Sichtbarkeiten werden erkannt und im besten Fall hinterfragt. Die Ausstellung regt an, immer wieder zu fragen: Wer spricht? Wer wird gehört? Wer wird nicht gehört?
In der Ausstellung, im Auftrag des Chemnitzer ASA-FF e.V. kuratiert von Ayşe Güleç und Fritz Laszlo Weber und produziert von Irène Mélix, werden mehr als 20 Beiträge von Betroffenen, Künstler:innen, Aktivist:innen und Beiträge aus diversen Archiven versammelt. Vertretene Künstler:innen sind unter anderem Harun Farocki, Hito Steyerl, belit sağ, Thanh Nguyen Phuong, Želimir Žilnik, Ulf Aminde und Forensic Architecture. Der Ausstellungsraum soll dabei zu einem Ort des Versammelns werden. Dieser Raum setzt auf ein empathisches Zuhören, das als politische Praxis zu verstehen ist und sich in einem breit angelegten Vermittlungskonzept und -programm niederschlägt. Umrahmt wird die Ausstellung von Interventionen im Außenraum, kritischen Stadtspaziergängen und einem Begleitprogramm mit Film-, Musik und Gesprächsformaten.
Die als Wanderausstellung konzipierte Exposition hat aus nachvollziehbaren Gründen Jena, die Stadt, aus der die Täter kamen, als Startpunkt ausgewählt. Sie ist bis zum 8. August im 1. OG der Städtischen Museen Jena, Markt 7, zu sehen.
Ihr folgt dann der Beginn eines umfangreichen Programms mit zahlreichen Akteuren aus Kultur, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Darüber werden wir im April, wenn die Planungen abgeschlossen sind, im Detail weiter berichten.
Es ist ein ernstes, ein trauriges, ein bewegendes Thema, dem wir uns in diesem Jahr zu nähern versuchen.
Wie haben Sie die Offenlegung des NSU vor nun fast 10 Jahren miterlebt? Gibt es etwas, das Sie sich im Umgang damit wünschen würden?
Über Ihre Anregungen und Kommentare freuen wir uns wie immer sehr!
@JenaKultur
Eines wird mir bei ihren Äußerungen sehr deutlich, was meiner Meinung nach die Werkleitung von JenaKultur sehr gut kann, Phrasen dreschen: Denn in der Öffentlichkeit gibt es eben keinen „intensiven Beteiligungsprozess mit Zivilgesellschaft und Freier Szene“.
@JenaKultur
Meine Kritik können sie damit aber nicht entkräften.
Es wird sein, wie es immer ist, die Projektpartner stellen Räume, Technik etc. zur Verfügung, aber aktiv an der Programmplanung und Programmgestaltung werden diese nicht beteiligt.
Widerstand braucht Fantasie, die Fantasie, die die Werkleitung von JenaKultur nicht hat!
Eines wollen wir abschließend klarstellen: seit anderthalb Jahren führen wir einen intensiven Beteiligungsprozess mit Zivilgesellschaft und Freier Szene; wir waren mit dem Thema ein ständiger Top am Runden Tisch und haben einen eigenen, extern/neutral moderierten Arbeitskreis initiiert.
Don’t feed the Troll. Wer anonym durchs Netz trollt sollte keine weitere Beachtung finden.
Das ist also für sie ein Grund, beleidigend zu werden Herr Kersten Kottnik?
Es wäre irgendwie ritterlicher, Kritik und Anmerkungen nicht immer inkognito zu äußern, sondern das Visier hochzuklappen. Wie wär’s, Herr Ritter Runkel?
Besser wäre es, die ganzen Vereine in Jena mit Geldern zu unterstützen zum Beispiel die Freie Bühne Jena, das KLEX, den Cirkus MOMOLO usw, sich mit dem Thema NSU auseinanderzusetzen.
So wird es aber kommen, wie es immer kommt Jonas Zipf unterstützt nur großzügig seine Künstlerfreunde.
So aber wird sich mit dem Thema an sich nicht wirklich auseinandergesetzt.
Genau diese Vereine und Initiativen, von denen hier die Rede ist, sind beteilige Projektpartner, für deren Vorhaben JenaKultur mitgeholfen hat, zusätzliche Gelder von außen zu akquirieren.
Eigentlich ein wichtiges Thema, wird nur von Jonas Zipf mißbraucht!