Allgemein Denkmale & Kunst im öffentlichen Raum Stadtgeschichtsforschung

Ein kontrovers diskutiertes Denkmal in Jena oder Wohin nur mit dem „Burschen“ am Universitätshauptgebäude?

Verhüllt: Das Jenaer Burschenschaftsdenkmal

 

Das Jenaer Burschenschaftsdenkmal ist eines, das immer wieder polarisiert. Einerseits steht es in Erinnerung an die Gründung der Urburschenschaft 1815 in Jena ohne Frage für unsere Demokratie- und auch Stadtgeschichte, andererseits wird es von manchem als Symbol für übersteigerten Nationalismus und Klüngelei gelesen und erscheint dadurch verdächtig. Wir freuen uns deshalb über den folgenden Problemaufriss zum Thema Erinnerungskultur von Herrn Dr. Andreas Braune, der die Forschungsstelle Weimarer Republik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena leitet und zugleich wissenschaftlicher Leiter eines Festivals für Geist, Demokratie und Geschichte ist, das der Verein „Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte e. V.“ seit einigen Jahren ausrichtet und das erstmals auch in Jena zu Gast sein wird.

Weimar zu Gast in Jena? Ja. Denn am 31. Oktober 2022 findet das diesjährige Geschichtsfestival „Weimarer Rendez-vous mit der Geschichte“ statt, und erstmals in seiner über zehnjährigen Geschichte wächst es über die Stadtgrenzen Weimars hinaus. Unter dem Motto „Ein Denkmal? Na, denk mal!“ widmet es sich umstrittenen Denkmälern und kontroversen Zeitzeugnissen. Es geht also um Geschichte im öffentlichen Raum, um sich wandelnde Verständnisse von Geschichte und Erinnerung, um aktuelle politische Bezüge und Auseinandersetzungen, und schließlich auch darum, erinnerungspolitischen Debatten Raum für demokratische Auseinandersetzung und wissenschaftliche Fundierung zu geben. Und da solche Kontroversen in aller Regel vor Ort ausgetragen werden, gastiert das Festival neben Gotha, Erfurt und Heldburg auch in Jena. Und gerade an der Saale verspricht es, spannend zu werden.

Denn für Jena steht ein Denkmal auf dem Programm, das zuletzt etwas in Vergessenheit geraten ist, das aber gleichwohl einigen Gesprächsstoff und Klärungsbedarf in sich birgt. Denn die Frage der Diskussionsveranstaltung, die um 16:00 Uhr in der Rathausdiele beginnt, lautet: „Was soll nur aus dem Burschen werden?“

Es geht also um das Burschenschaftsdenkmal am Universitätshauptgebäude, das seit einem Farbanschlag 2011 und einer aufwendigen Reinigung und Sanierung dauerhaft mit einer Einhausung verhüllt ist. Immerhin: Man kann es trotzdem noch sehen, wenn auch nur zweidimensional: Auf den Planen, die es schützen, ist es abgebildet. Dabei ist einem ersten Irrtum vorzubeugen: Die Einhausung schützt es zwar auch vor weiterer Beschädigung, vor allem aber vor Witterungseinflüssen. Zu diesem Zweck war die Einhausung schon vor dem Anschlag – mit burschenschaftlicher Unterstützung – angeschafft worden, um das sensible Denkmal in den Wintermonaten zu schützen. Erst seit der Sanierung verbirgt sie den Ur-Burschen dauerhaft. An diesem Zustand, der schon aus denkmalpflegerischer Sicht unbefriedigend ist, hat sich seitdem nichts getan. Gespräche zwischen Stadt und Universität, die nach einem geeigneten Standort in einem geschützten Innenraum suchten, verliefen immer wieder im Sande. Eine Einhausung aus Glas erwies sich als zu teuer.

 

Beschmiert: Das Jenaer Burschenschaftsdenkmal
Beschmiert: Das Jenaer Burschenschaftsdenkmal | ©JenaKultur

Doch warum ist es so schwierig, eine praktikable Lösung für den Burschen zu finden? Diese Frage führt unmittelbar in ein ganzes Dickicht aus erinnerungspolitischen Kontroversen, in deren Zentrum die Frage steht, ob und wie man ein solches Denkmal ‚heutzutage‘ öffentlich präsentieren kann. Denn hinter der Einhausung an der Ecke des Fürstengrabens und des Löbdergrabens verbirgt sich ein in vielerlei Hinsicht politisch aufgeladenes Denkmal. Ursprünglich auf dem Eichplatz neben der dortigen Burschenschaftseiche stehend, war es 1883 zum Gedenken an die Gründung der Urburschenschaft 1815 in Jena errichtet worden. Erst 1951 kam es an seinen heutigen Standort. In der rechten Hand hält der Bursche die Fahne der Urburschenschaft. Das ist neben all den anderen Insignien, Inschriften und Widmungen deshalb erwähnenswert, weil das nicht irgendeine Fahne ist: Ausgehend von den Farben des Lützower Freikorps entwickelten sich aus ihr die Farben unserer heutigen parlamentarischen Demokratie, die Farben Schwarz-Rot-Gold. Dass das Jenaer Stadtmuseum das Original und damit einen demokratiegeschichtlichen Schatz zeigt, ist Vielen gar nicht bewusst.

Könnte man es dabei belassen, wäre der Umgang mit dem Denkmal wohl unproblematisch. Doch so einfach ist es nicht. Das Schwert, das der Bursche in der linken Hand hält, trägt die Aufschrift „Fürs Vaterland“ – und damit sind wir bei der hochproblematischen Geschichte der Burschenschaftsbewegung im 19. und 20. Jahrhundert. Denn selbst wenn die Farben der Demokratie auf die Gründung der Ur-Burschenschaft in Jena zurückgehen: demokratische Akteure waren ihre Nachfolgerinnen fast nie. Insbesondere im Kaiserreich und der Weimarer Republik verkörperten sie scharfen Nationalismus, elitäre Gesinnung, Militarismus und einen anti-demokratischen, reaktionären Geist. In Jena wie in ganz Deutschland bekämpften sie zwischen 1919 und 1933 die erste parlamentarische Demokratie in Deutschland, obwohl diese erstmals ‚ihre‘ Farben zu denen der Republik gemacht hatte. Ab 1933 integrierten sie sich ohne Weiteres in den NS-Staat. Eine unkritische, affirmative Lesart des Burschenschaftsdenkmals verbietet sich vor diesem Hintergrund.

Und es wird noch komplizierter. Denn die Burschenschaftsbewegung existiert nach wie vor. Bis 1990 waren die Jenaer Verbindungen im westdeutschen ‚Exil‘, kamen nach der Wiedervereinigung aber sehr rasch wieder zurück nach Jena. Sie brachten die politischen Kontroversen aus der alten Bundesrepublik rund um die Burschenschaften mit an die Saale, wo in der DDR bis dahin ein ganz eigener Umgang mit diesem Teil der Geschichte gepflegt worden war. Auch wenn die Hintergründe des Farbanschlags von 2011 nie aufgeklärt wurden, liegt die Vermutung nahe, dass er im Zusammenhang mit linker Kritik an den zeitgenössischen Burschenschaften steht. Diese Kritik erhebt den Vorwurf, dass das Verhältnis der heutigen Burschenschaften zur Demokratie und dem Grundsatz der Gleichheit und Nicht-Diskriminierung (z. B. nach ethnischen oder Geschlechterkriterien) nach wie vor problematisch ist. Angesichts unzähliger Verbindungen vieler deutscher Verbindungen in die rechtspopulistische und rechtsextreme Szene ist diese Kritik alles andere als unberechtigt – solange sie in Worten und mit Aufklärung und nicht mit Farbbeuteln artikuliert wird. Es mag sein, dass sich manche Verbindungen als ‚liberal‘ und ohne Einschränkungen als Vertreterinnen des Grundgesetzes verstehen. Weil sich andere Teile der Burschenschaftsbewegung an dieser Klarstellung aber nicht einmal probieren, bleibt es problematisch – zumal in Zeiten, in denen Rechtsextremismus eine wachsende Gefahr ist.

Es ist also eine große Last, die auf den Schultern des verhüllten Burschen ruht. Am kommenden Montag soll offen diskutiert werden, wie mit dieser Last am besten umzugehen ist. Und auch darüber, wie und wo es mit dem Burschen am besten weitergeht. Und vielleicht auch darüber, ob diese Last nicht auch eine Chance sein kann: für einen kritischen und demokratischen Umgang mit Geschichte. Mit der Frage, wie auch problematische Denkmäler so gezeigt werden können, dass sie zu einem Ort kritischen historischen Lernens und demokratischer Debatte werden. Viele andere Beispiele zeigen: Wo die Demokratie solche Debatten scheut, besetzen ihre Gegner das Feld. In dem Burschen steckt viel: Einerseits die Wurzeln unserer Demokratie, andererseits die Ambivalenzen und Abgründe der deutschen Geschichte. Welches andere Denkmal kann das schon von sich behaupten?

Das Jenaer Burschaftsdenkmal
Unverhüllt: Das Jenaer Burschenschaftsdenkmal | ©JenaKultur | Foto: Christian Häcker

Am Reformationstag wird es dazu ab 16 Uhr in der Rathausdiele eine Podiumsdiskussion geben. Nach einer Einführung zum denkmalpflegerischen Zustand und zur künstlerischen Bedeutung des Denkmals durch Evelyn Halm (JenaKultur) diskutieren untereinander und mit dem Publikum: PD Dr. Stefan Gerber (Universitätsarchiv der Friedrich-Schiller-Universität Jena), Dr. Rüdiger Stutz (Stadthistoriker Jenas), Prof. Dr. Winfried Speitkamp (Historiker, Staatssekretär) und Heiko Ziemer (CDU, Burschenschaft Arminia auf dem Burgkeller). Moderiert wird die Veranstaltung von der Journalistin, Autorin und Kunsthistorikerin Doris Weilandt, die sich bestens in der Jenaer Kultur- und Denkmallandschaft auskennt.

Für die Veranstaltung wird die Einhausung im Auftrag von JenaKultur von Samstag (29. Oktober) bis Dienstag (1. November) entfernt. Der „Bursche“ kommt an die frische Luft und alle Jenenser:innen und Jenaer:innen können sich seit langem mal wieder ein genaueres Bild von ihm machen.

Wir danken Herrn Dr. Andreas Braune und sind gespannt, ob Sie, liebe Leser:innen unseres Blogs, Meinungen und Ideen haben, wie man aus Ihrer Sicht mit problematischen Zeitzeugnissen im öffentlichen Raum angemessen umgehen sollte?

  1. Holger Herrmann

    Das Burschenschaftsdenkmal konnte heute nicht besichtigt werden. 🤓 Wo liegen die Probleme?🤔Hat die Geld kein Geld für die Beauftragung eine privaten Wachschutzes, wenn das Ordnungsamt den Schutz des Denkmals nicht übernehmen kann? 🤔 Ich denke, es ist ein ganz großes Problem, das in der Lichtstadt Jena ein Denkmal hinter Planen versteckt werden muss und es nicht sichtbar sein kann.🥶👎 Früher stand das Burschenschaftsdenkmal auf dem Eichplatz und zu DDR Zeiten vor dem Eingang zum Universitätshauptgebäude und niemand hat sich daran gestört.🙂 In Jena gibt es einen Turm und einen Brunnen auf dem Marktplatz zu Ehren von Otto von Bismarck und niemand stört sich daran. Bismarck war letztlich auch nicht der größte Demokrat als Verantwortlicher für die Sozialistengesetze. 🙁Was ist nur los in Jena?🤔

    • Sehr geehrter Herr Herrmann,
      auf Grund von ernst zu nehmenden Störankündigungen im Vorfeld der gestrigen Podiumsdiskussion zum Burschenschaftsdenkmal in der Rathausdiele hätte das von JenaKultur zum Vandalismus-Schutz des Denkmals entwickelte Konzept inhaltlich und daraus abgeleitet monetär erweitert werden müssen.
      Der daraus resultierende Finanzierungsumfang wäre aus Sicht der JenaKultur-Werkleitung unverhältnismäßig gewesen, weshalb kurzfristig auf die Enthausung des Denkmals verzichtet wurde. Wir bitte Sie dafür um Verständnis.
      MfG
      JenaKultur

  2. Holger Herrmann

    Zu DDR Zeiten war das Burschenschaftsdenkmal öffentlich sichtbar und hatte einen anderen, öffentlicheren Standort. Das Denkmal muss wieder öffentlich sichtbar werden. Warum konnte man es nicht in das Innere der neuen Bibliothek oder einen Neubau der Universität integrieren?

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