Als das Projekt des Botho-Graef-Kunstpreises zur Errichtung eines dezentralen Denkmals für Eduard Rosenthal (1853 – 1926) im Jahre 2017 begann, ahnte niemand, welche Dimensionen das Vorhaben bis heute entwickeln würde. Mit der Auslobung des Wettbewerbs vor drei Jahren setzte ein kommunikativer Prozess mit immer fortschreitenderen Vernetzungen ein, der letztlich bis heute andauert. Die prominenten Denkmalstandorte Universitätshauptgebäude, Volkshaus und Villa Rosenthal in Jena, die Hochschule für Musik in Weimar sowie der Thüringer Landtag in Erfurt zeigen deutlich, wie ernst es die beiden Künstler Horst Hoheisel und Andreas Knitz, die Auslober Stadt und Kooperationspartner Universität Jena mit der Ehrung für den von den Nationalsozialisten vergessen gemachten „Vater“ der Thüringer Landesverfassung gemeint haben. Man vergegenwärtige sich: durch die Fassaden dieser zum Teil denkmalgeschützten Gebäude wurde ein Loch von 25 cm Durchmesser gebohrt, an der Hochschule für Musik sogar durch eine Wand von fast 2,5 m Dicke! Ein enormer partizipatorischer Prozess u.a. mit einem Kuratorium von 20 Mitgliedern aus Politik, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft aus ganz Thüringen, einer hochkarätigen Jury unter dem Vorsitz des renommierten Konzeptkünstlers Jochen Gerz und ein komplexes Vermittlungsprogramm mit Artist Talks, Podiumsdiskussionen, Ausstellung, Katalog, mobiler Website, theaterinszenierten Führungen und dokumentarischen Filmaufarbeitungen begleiten das Projekt über die gesamte Zeit hinweg.
Und nicht zuletzt der gestrige Akt der Einweihung der drei Standorte in Jena mit einem bisher so nicht gekannten, völlig ungewöhnlichen Format einer performativen theaterinszenierten Spurensuche durch die halbe Stadt – und das unter den strikten Auflagen coronabedingter Infektionsschutzmaßnahmen – ist ein unbeschreiblicher Kraftakt gewesen, der sämtliche Ressourcen der Veranstalter gekostet hat.
Und dennoch….dieser Mann, dem unsere moderne Gesellschaft im Freistaat Thüringen heute so viel zu verdanken hat, dieser modern denkende, liberale Demokrat, Rechtswissenschaftler, „Vater“ der Thüringer Verfassung, leidenschaftlicher Kunstförderer und engagierter Bürger der Stadt Jena hat all diese Mühen verdient. Er wurde zu Unrecht von den Nationalsozialisten auf Grund seiner jüdischen Herkunft aus dem öffentlichen Bewusstsein getilgt. Und er wurde zu Recht im Jahr des 100. Jahrestages der Gründung des Landes Thüringen mit allem Engagement ins öffentliche Gedächtnis zurückgeholt und hochverdient gewürdigt.
Und so ließen es sich knapp 100 geladene Gäste, darunter renommierte Vertreter der Gesellschaft aus Politik, Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft, am gestrigen Donnerstag trotz strenger Corona-Auflagen nicht nehmen, das dezentrale Denkmal für Eduard Rosenthal in Jena einzuweihen. Die Veranstaltung begann um 16 Uhr mit einem halbstündigen offiziellen Festakt in der Aula der Universität. Und damit war der offizielle Part auch schon vorbei. Was sich daran anschloss, überstieg vermutlich die Erwartungen der Gäste bei Weitem. Eingeteilt in 6 Gruppen – betitelt nach 6 von 7 Kleinstaaten, aus denen sich das Land Thüringen 1920 zusammenschloss – wurden sie unter der Anleitung und Führung eines performativ agierenden Schauspielers auf eine Spurensuche nach Fragmenten des Lebens und Wirkens Eduard Rosenthals vom Universitätshauptgebäude über den Fürstengraben, vorbei an der Alten Wucherey, der ThULB, den Rosensälen, am großen Abbe-Hörsaal, dem Campus auf dem Ernst-Abbe-Platz, dem Ernst-Abbe-Denkmal und Volkshaus bis zur Villa Rosenthal bzw. mal einfach eben kurz hindurch geschickt.
Die Wege waren versehen mit neuen Entdeckungen, kleinen und größeren Überraschungen, wie z.B. eine Sonderstraßenbahnfahrt sowie ganz gewiss als Highlight ein kurzes Verweilen an der am Uni-Hauptgebäude beginnenden Live-Bohrung für das Denkmal schlechthin. Jede Gruppe ging einen anderen Weg. Was alle verband, waren die drei Stationen des dezentralen Denkmals in Jena, wobei am Uni-Hauptgebäude die Bohrung begann, am Volkshaus das unfertige Loch – daneben mit einem Augenzwinkern die beiden noch über Sinn und Zweck ihres Countermonuments fabulierenden Künstler – zu sehen war und an der Villa Rosenthal schließlich das fertige Loch mit eingesetzter Inschriftenhülse und Beleuchtung betrachtet werden konnte. Am Schluss trafen sich alle Teilnehmer nach ca. 2,5 h Entdeckungstour an der letzten Station der Einweihungsveranstaltung wieder, der Villa Rosenthal. Die letzten 3 Stunden waren ohne Zweifel überaus anstrengend, aber auch intensiv und mitreißend sowie ganz sicher voller neuer Erkenntnisse und Überraschungen gewesen. Das Team um die Weimarer Künstlerin Anke Heelemann hat hier ein wahres Mammutwerk vollbracht, 6 einzelne Touren mit den gleichen informativen Inhalten, auf unterschiedlichen Strecken und auf die Minute genau getimt zu entwickeln und durchzuführen. Dabei wurden die Mühen auch von Petrus belohnt. Der Spaziergang fand bei herrlichem Spätsommerwetter statt.
Eduard Rosenthal wird wohl allen Teilnehmern unvergesslich bleiben.
Über das Denkmal „Erkundungsbohrungen“ von Horst Hoheisel und Andreas Knitz, die beiden Künstler, den Botho-Graef-Kunstpreis der Stadt Jena, das Vermittlungsprogramm sowie weitere mit dem Projekt verbundene Informationen finden Sie unter www.eduard-rosenthal.de sowie auf Twitter unter twitter.com/kunstpreisjena#dasverschwundenebildnis
Wer an der gestrigen Tour nicht teilgenommen hat, kann sie an folgenden Terminen noch erleben:
Sonntag, 27. September 2020 | Freitag, 2. Oktober 2020 |Sonntag, 4. Oktober 2020 | Samstag, 10. Oktober 2020| Sonntag, 11. Oktober 2020 | Start jeweils 15 Uhr ab Universitätshauptgebäude, Eingang Fürstengraben |Tickets sind erhältlich in der Jena Tourist-Information oder www.jena.de/tickets
Wir würden uns freuen, wenn Sie uns Ihre Eindrücke in diesem Blog mit uns teilen!
Erkundungsbohrung am Universitätshauptgebäude, © JenaKultur | Foto: BL
Es war wirklich eine großartige Veranstaltung. Dazu hat auch die performative Spurensuche mit dem Team um die Künstlerin Anke Heelemann beigetragen. Wie viel Informationen, liebevoll gesammelte Details und positives Feeling da wieder ‚rüberkamen…! Wirklich klasse!
Danke an alle, die zum Gelingen beigetragen haben. In diesen seltsamen Zeiten gab es nämlich sehr viele zusätzliche Hürden zu nehmen. Ich weiß, wovon ich rede. Denn ein bisschen war ich als Kollegin dabei!
Meine Hochachtung gilt deshalb vor allem den beiden „Kümmerinnen“ im Hintergrund: Andrea Karle und Evelyn Halm.
Birgit Liebold