Lieber Johannes Schleußner, seit 1. Oktober 2024 führen Sie ein neues, fünftes Dezernat in Jena, dessen vier Hauptbereiche jeweils sehr komplexe Themen und Fragestellungen bearbeiten müssen: Bildung, Jugend, Kultur und Sport. Zugleich konkurrieren hier sogenannte Pflichtaufgaben – im Bildungs- und Jugendbereich – mit sogenannten freiwilligen Aufgaben – Kultur und Sport. Sehen Sie darin eine besondere Problematik? Liegt in der Reihung zugleich eine Prioritätensetzung?
Ich sehe vielmehr die Chance, durch die Verbindung dieser Themen und Aufgabenbereiche neue Synergien zu erschließen. Schon in den ersten Wochen zeigt sich, dass sich durch die Zusammensetzung neue Blickwinkel und Möglichkeiten ergeben. Manchmal wurden allein durch gemeinsame Beratungen Lösungen möglich, die vorher nicht absehbar waren.
Wo sehen Sie aktuell die ersten und größten Herausforderungen, denen Sie sich stellen müssen? Welche sind das und wie werden Sie die angehen?
Ich möchte den Austausch mit jungen Menschen intensivieren. Ich glaube, dass wir hier als Gemeinschaft und auch als Stadt sonst den Kontakt verlieren – mit fatalen Folgen. Dafür eignet sich dieses Dezernat besonders gut, da wir über verschiedene Ansprachen an die Menschen herantreten können. Das wäre eine übergeordnete Aufgabe. Im alltäglichen Handeln gibt es konkret viele Aufgaben, denen ich mich stellen muss. Da ist für mich eine pauschale Wichtung nicht angemessen.
Sie haben in der Vergangenheit selbst aktiv im Kulturbereich gewirkt, sowohl – wie wir immer sagen – als „Kümmerer“ (beim Ev.-luth. Kirchenkreis z.B.) wie auch selbst künstlerisch, z.B. bei den Octavians und im Knabenchor. Und Sie haben auch die Einrichtungen von JenaKultur genutzt, waren z.B. Geigenschüler an der MKS und sind Nutzer der EAB. Zugleich kennen Sie die politischen Akteure in dieser Stadt ziemlich gut. Sie haben also auf die Kultur, die uns natürlich besonders am Herzen liegt, eine doppelte Perspektive. Wie beurteilen Sie also die Kultur in Jena und auch den Eigenbetrieb JenaKultur? Sind beide gut aufgestellt, gut genug für eine Stadt, die auch mit den sogenannten weichen Standortfaktoren die immer schwierigere Fachkräfteakquise klug flankieren möchte? Gibt es Leerstellen, Desiderata? Welches sind Ihre Highlights, vllt. auch Geheimtipps? Wo muss investiert werden, im buchstäblichen wie auch übertragenen Sinne?
Insgesamt ist unsere Kultur in Jena sehr gut aufgestellt. Gerade in der momentanen Situation sind wir im Vergleich zu anderen Städten stabil. Da ist der Blick von außen gerade jetzt eine wichtige Perspektive. Ich denke, dass Jena eine sehr eigene Melange an Kultur hat, nicht vergleichbar mit Weimar, Erfurt oder auch Dresden, wo ich studiert habe. Dieses sehr Studentische ist prägend, auch die Affinität zu Technik und ein weniger institutioneller, eher projektartiger Ansatz. Kultur wird in Jena nicht unbedingt wie in einer Residenzstadt von „Oben“, sondern viel von den Bürgerinnen und Bürgern her gedacht und gemacht. Das gibt immer wieder Impulse zur Erneuerung. Ganz konkret spürbar wird das etwa im Theaterhaus Jena mit dem festgelegten Wechsel in der Besetzung oder in der Kulturarena, die jedes Jahr eine andere Ausrichtung hat. Dabei gibt es aber natürlich auch Traditionslinien und Angebote wie die Jenaer Jenaer Philharmonie, die eine Universitätsstadt wie Jena unbedingt braucht. Ich finde, das ist sehr spannend und auch ein einzigartiges Attribut der Jenaer Kultur. Ich denke bei den Angeboten für junge Menschen, der Freien Szene und generell bei Angeboten in der Unterhaltung müssen wir wieder enger mit den vielen Partnerinnen und Partnern zusammenarbeiten, um lebendig zu bleiben. Da gibt es, gerade nach der Pandemie ein anderes Verhalten des Publikums, auf das wir gute Antworten brauchen. Das sehe ich als eine wichtige Aufgabe als Dezernent für Kultur.
Welche Impulse möchten Sie bei der Entwicklung der freien Jenaer Kulturszene setzen? Vor allem im aktuellen Spannungsfeld zwischen struktureller Entwicklungsnotwendigkeit und gleichzeitig immer stärkerer Limitierung der kommunalen Kulturfinanzierung?
Ich möchte mit den Menschen, die in der Freien Szene aktiv sind in den nächsten Jahren als Dezernent eng zusammen arbeiten und auch Entwicklungen gemeinsam gestalten. Das ist ein erster wichtiger Ansatz. Ohne sie funktioniert es nicht und ich bin für dieses Engagement sehr dankbar. Pauschale Einzelaktionen führen am Ende nicht zu einer nachhaltigen Entlastung, aber ich möchte den Ergebnissen des Austauschs auch nicht vorgreifen.
Für mich gehört zu einer lebendigen Stadt und gerade zu Jenas Kulturleben natürlich eine lebendige Freie Szene. Dafür setze ich mich auch im Rahmen limitierter Mittel ein. Deshalb bin ich JenaKultur dankbar, dass die Mittel für die Kulturförderung trotz sehr schwieriger Haushaltslage so stark steigen wie noch nie. Auch wenn ein großer Teil der freien Kultur ohne Förderung arbeitet, ist dies ein klares Commitment. Ich verstehe aber sehr gut, dass darüber hinaus Gesprächsbedarf besteht. Ich stehe dafür gern bereit.
Generell: wie verstehen Sie Ihre Aufgabe? Wo werden Sie sich persönlich stark einbringen, wo eher beratend und lobbybildend tätig werden? Haben Sie Ideen, wie und wo völlig neue Synergien zwischen allen vier Ihrer Verantwortungsbereiche entstehen können?
Ich habe einen spannenden Zuschnitt des Dezernats, der vieles möglich macht. Generell erfahre ich in allen Bereichen, dass ich sehr herzlich empfangen werde, und auch, dass ich ein gut bestelltes Feld übernehmen darf, allein wenn man an den Bildungsstandort Jena denkt. Viele Aufgaben ergeben sich aus dem Alltag und den Anforderungen an mich als Dezernenten. Eine Lobby für junge Menschen, für Bildung, Kultur und Sport zu bilden, ist sicher eine meiner Aufgaben, die ich darüber hinaus entwickeln möchte. Ich glaube, dass wir als Stadtgesellschaft auch noch Möglichkeiten haben, wenn man die Unterstützung etwa von Kultur oder Sport durch private Bürgerinnen und Bürger ins Blickfeld nimmt. Vielleicht gelingt mir, hier eine andere Ansprache zu finden. Generell ist es in den von mir verantworteten Bereichen sehr wichtig, präsent bei den Akteuren und Vereinen zu sein und ein offenes Ohr zu haben. Das bleibt meine wesentliche Aufgabe. Synergien ergeben sich durch gute Zusammenarbeit – da sehe ich viele Ansätze, denen wir ja zum Teil schon jetzt nachgehen, etwa bei der Nutzung von Schulräumen für Kulturensembles oder Sportvereine.
Wenn wir einen Blick aus der Zukunft auf die Gegenwart wagen: Was möchten Sie unbedingt in ihrer neuen Funktion konkret bewegt und nachhaltig angestoßen haben?
Ich möchte, dass wir unsere Stärken wieder mehr betonen und selbstbewusst nach außen gehen, auch als Kulturort. Ich möchte, dass unsere Stadt lebendig ist und wir das vielfältige Engagement in Jena ob im Kultur-, Bildungs-, Jugend- oder Sportbereich stärken und erhalten. Dem Bildungsleuchtturm Jena wieder mehr Strahlkraft zu verleihen, durch Entwicklung neuer Angebote und Vernetzungen ist eine weitere Aufgabe.
Konkret für die Kulturlandschaft ist wichtig, dass wir die Angebote der Freien Szene gut aufstellen, aber auch, dass wir die noch offenen Fragen, z.B. zur Unterbringung der Kunstsammlung Jena oder zu einem adäquaten Probenort für unsere Jenaer Philharmonie endlich beantworten.
Lieber Herr Schleußner, danke für das interessante Gespräch. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit!