[LESEN SIE HIER TEIL 1 DES ARTIKELS]
4. Richtig ist, dass die Eigentümer (einschließlich Familien) der Grundstücke, die an eine ausgebaute Straße angrenzen, nicht die einzigen Benutzer dieser Straße sind, sie vielmehr auch von Mietern, Besuchern und anderen Personen in Anspruch genommen wird. Darauf reagiert das Straßenbaubeitragsrecht dadurch, dass es den betreffenden Grundeigentümern nur einen Anteil von den für die Sanierung „ihrer“ Gemeindestraße entstandenen Ausbaukosten auferlegt. Dieser Anteil (Eigentümeranteil) entspricht der Höhe nach dem Umfang der von ihren Grundstücken voraussichtlich ausgelösten Inanspruchnahme der Straße im Verhältnis zur voraussichtlichen Inanspruchnahme durch die Allgemeinheit. Das führt dazu, dass die Grundeigentümer im Durchschnitt, d.h. bei Berücksichtigung aller Straßenarten (Anlieger-, Haupterschließungs- und Durchfahrtsstraßen), lediglich einen Anteil von ca. 50% der Ausbaukosten von Gemeindestraßen zu übernehmen haben und die übrigen ca. 50 % von der Allgemeinheit, also den anderen Einwohnern der Gemeinde als sog. Gemeindeanteil zu tragen sind.
5. Einzuräumen ist, dass in seltenen Ausnahmefällen ein Straßenbaubeitrag die Größenordnung eines mittleren fünfstelligen Betrags oder gar mehr erreicht. Das betrifft allerdings nicht Eigentümer kleinerer, einzig mit einem Eigenheim bebauter Grundstücke, sondern regelmäßig nur eher wohlhabende Eigentümer von großflächigen, intensiv z.B. gewerblich genutzten Grundstücken. Denn der Anteil an dem für eine beitragsfähige Ausbaumaßnahme angefallenen Aufwand, der von den Eigentümern zu tragen ist, wird typischerweise nach dem sog. Vollgeschossmaßstab auf die anliegenden Grundstücke verteilt, d.h. nach einem Maßstab, der ausschlaggebend abstellt auf die Größe dieser Grundstücke sowie Art und Maß von deren baulicher Ausnutzung (Ausnutzbarkeit). Sollte gleichwohl in einem Einzelfall eine Beitragserhebung zu einer unbilligen persönlichen oder sachlichen Härte führen, begründen teilweise recht großzügige gesetzliche Regelungen Erleichterungen von Stundungen über Ratenzahlungen bis zu (ggfs. teilweisen) Beitragserlassen. Das schließt — anders als Befürworter einer Abschaffung des
Straßenbaubeitrags gelegentlich glauben machen wollen — in der Praxis eine übermäßige
Belastung von Grundeigentümern aus, schließt insbesondere aus, dass sich
Grundeigentümer zur Begleichung einer Beitragsschuld von ihrem Grundstück trennen müssen.
6. Insoweit abschließend bleibt zu prüfen, ob es einen tragfähigen sozialen oder finanzwirtschaftlichen Grund gibt, zugunsten der durch die Sanierung „ihrer“ Straße bevorteilten Grundeigentümer auf die Erhebung von Straßenbaubeiträgen mit der Folge zu verzichten, dass selbst der Eigentümeranteil von allen Gemeindemitgliedern aufgebracht werden muss oder zur Erfüllung anderer gemeindlicher Aufgaben fehlt.
3. Gibt die Abschaffung des Straßenbaubeitrags etwas für die Lösung des Problems der Deckung des für den gemeindlichen Straßenbau entstehenden Aufwands her?
1. Gemeindestraßen unterliegen einem Verschleiß. Dieser Verschleiß löst nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums einen Sanierungsbedarf aus. Die zur Deckung dieses Bedarfs erforderlichen Ausbaukosten entstehen bei der Gemeinde. An dem damit skizzierten Grundproblem ändert die Abschaffung des Straßenbaubeitrags nichts.
2. Aus dem in allen Verfassungen der Flächenländer — wenn auch mit unterschiedlichen Formulierungen — enthaltenen sog. Konnexitätsprinzip lässt sich (jedenfalls sinngemäß) der Grundsatz herleiten, für den Fall, dass eine Veränderung landesrechtlicher Bestimmungen zu einer wesentlichen Belastung der Gemeinden führt, habe das Land einen angemessenen Ausgleich zu schaffen. Dementsprechend hat der Freistaat Bayern einen Ausgleichsbetrag von zunächst 100 Millionen € und ab 2020 von 150 Millionen € vorgesehen. In dem im Landtag in Nordrhein-Westfalen eingereichten Gesetzentwurf der SPD-Fraktion ist ebenfalls ein Betrag von 100 Millionen € genannt, in Sachsen-Anhalt ist eine Kompensationssumme von 27 Millionen € im Gespräch.
Hinweis: Der Autor ist Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator sowie freier Mitarbeiter des vhw-Bundesverbandes für Wohnen und Stadtentwicklung e.V.; er war zuvor von 1997 bis 2005 Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht und gilt als führender Experte auf dem Gebiet der Erschließungs- und Straßenbaubeitragserhebung in Deutschland. Den Text hat er diesem Blog der Stadt Jena exklusiv zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt; er darf unter Nennung der Quelle und des Autors kostenfrei weiterverbreitet werden.