Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus

[LESEN SIE HIER TEIL 1 und DORT TEIL 2 DES ARTIKELS]

Im Zusammenhang mit einem angemessenen Ausgleichsbetrag ist folgende Besonderheit des Straßenbaubeitrags zu berücksichtigen: Anders als das Erschließungsbeitragsrecht bezieht sich das Straßenbaubeitragsrecht nicht auf einen einmaligen Ausbau (erstmalige Herstellung) einer bestimmten Gemeindestraße. Vielmehr können sich nach Maßgabe des Straßenbaubeitragsrechts beitragsfähige Ausbaumaßnahmen an ein und derselben Straße immer wiederholen, nämlich nach jedem Ablauf einer normalen „Haltbarkeitsdauer“ des durch einen Ausbau erreichten Zustands dieser Verkehrsanlage. Die normale »Haltbarkeitsdauer“ beträgt sowohl nach der erstmaligen Herstellung einer Gemeindestraße als auch nach ihrer Erneuerung bzw. Verbesserung etwa 30 Jahre. Nach Ablauf dieses Zeitraums tritt erfahrungsgemäß ein Verschleiß mit der Folge ein, dass ein Sanierungsbedarf entsteht und ein beitragsfähiger Ausbau erforderlich wird. Die Lebensdauer einer Gemeindestraße kann viele Jahrhunderte ausmachen, so dass sich der Vorgang „Verschleiß-Sanierungsbedarf-beitragsfähiger Ausbau“ nahezu unendlich häufig wiederholen kann. Da durch eine Abschaffung des Straßenbaubeitrags für die Gemeinden eine langanhaltende „Finanzierungsquelle“ entfällt und folglich entsprechende Beitragsausfälle entstehen, muss ein vom Konnexitätsprinzip verlangter angemessener finanzieller Ausgleich für diese Beitragsausfälle auf viele Jahrzehnte angelegt sein. Das begründet selbstverständlich eine jährliche, für eine unabsehbare Zeit andauernde Belastung des betreffenden Landeshaushalts.

3. In Bayern soll der Kompensationsbetrag — wie gesagt – zunächst jährlich mindestens 100 Millionen € betragen und ab 2020 auf 150 Millionen € ansteigen. Diese Beträge verfehlen den nach dem Konnexitätsprinzip gebotenen angemessenen jährlichen Ausgleich deutlich. Eine von Praktikern des Beitragsrechts anhand des konkreten Erneuerungsbedarfs erarbeitete Berechnung kommt zu dem Ergebnis, dass in Bayern allein zum Substanzerhalt der Gemeindestraßen ein jährlicher Erneuerungsbedarf von über einer Milliarde € und — bei einem durchschnittlichen Anliegeranteil von 50 % – ein jährlicher Beitragsausfall von über 500 Millionen € anzunehmen ist. Folglich entsteht bei den bayerischen Gemeinden infolge der Abschaffung des Straßenbaubeitrags und der sich daraus ergebenden Beitragsausfälle eine erhebliche Finanzierungslücke. In den übrigen Ländern dürfte auf der Grundlage der bisher genannten Kompensationsbeträge Entsprechendes gelten. Mit anderen Worten: Die den Gemeinden zum Ausgleich von Beitragsausfällen voraussichtlich zur Verfügung gestellten Beträge werden über viele Jahre nur einen Bruchteil der Ausfälle decken, die ihnen durch die Abschaffung des Straßenbaubeitrags entstehen.

4. Zur Schließung der aufgezeigten Finanzierungslücke kommen in erster Linie (wenn nicht sogar ausschließlich) Einnahmen aus den Grundsteuern als der wichtigsten Gemeindesteuer in Betracht oder genauer: zusätzliche Einnahmen aus einer Erhöhung der Grundsteuern durch eine in der Zuständigkeit der Gemeinden liegende Erhöhung der betreffenden Hebesätze. Dazu heißt es in einem Bericht einer mittelgroßen Gemeinde: Die Verwaltung habe ganz genau errechnet, um wieviel der Hebesatz für die Grundsteuern erhöht werden müsste, um Straßenbaubeiträge zu ersetzen und die Straßen gleichwohl in gewohnter Weise sanieren zu können. Das Ergebnis sei „niederschmetternd“, es müsse der „Hebesatz der Grundsteuern von 400 auf 800 Prozentpunkte erhöht“ werden. Eine zweite Prüfung habe ein freundlicheres Ergebnis gebracht. Beschränke man sich im Wesentlichen auf eine „Sanierung light, also ein Abfräsen und Erneuern der Decke“, reiche eine Erhöhung des Hebesatzes von 400 auf 560 Prozentpunkte aus. Jedoch beseitigt eine solche „Sanierung light“ nicht eine etwaige Verschlissenheit einer Straße, sondern verschiebt eine „Vollsanierung“ nur auf einen späteren, dann voraussichtlich mit nicht unerheblich höheren Kosten verbundenen Zeitpunkt.

5. Allerdings weist eine Schließung der Finanzierungslücke durch Einnahmen aus einer Erhöhung der Grundsteuer und damit die Ersetzung des Finanzierungsmittels „Straßenbaubeiträge“ durch das Finanzierungmittel „(erhöhte) Grundsteuer“ zwei bemerkenswerte Mängel auf: Zum einen ist festzustellen, dass Schuldner der Grundsteuer ebenso wie Schuldner der Straßenbaubeiträge die Grundeigentümer in der jeweiligen Gemeinde sind, die Belastung dieser Grundeigentümer mit Kosten für den gemeindlichen Straßenbau durch den Austausch der Finanzierungsmittel also vom Ansatz her — abgesehen von den unzureichenden Ausgleichsbeträgen — im wirtschaftlichen Ergebnis unverändert bleibt. Zum anderen ergibt sich mit Blick auf vermietete Objekte ein ungleich bedeutsamerer Mangel daraus, dass Grundsteuern gemäß § 2 Ziffer 1 der Betriebskostenverordnung zu den auf Mieter abwälzbaren Betriebskosten zählen und deshalb jede Erhöhung der Grundsteuern zur anteiligen Finanzierung der gemeindlichen Straßenbaukosten immer eine entsprechende Steigerung der Miet(neben)kosten zur Folge hat. Ob diese Folge in einer Zeit, in der die Höhe der Mietkosten zu einem, wenn nicht dem bedeutendsten sozialen und gesellschaftlichen Problem geworden ist, gewollt und vertretbar sein kann, dürfte ernsthaft zu bezweifeln sein.

[FORTSETZUNG FOLGT IN TEIL 4]


Hinweis: Der Autor ist Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator sowie freier Mitarbeiter des vhw-Bundesverbandes für Wohnen und Stadtentwicklung e.V.; er war zuvor von 1997 bis 2005 Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht und gilt als führender Experte auf dem Gebiet der Erschließungs- und Straßenbaubeitragserhebung in Deutschland. Den Text hat er diesem Blog der Stadt Jena exklusiv zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt; er darf unter Nennung der Quelle und des Autors kostenfrei weiterverbreitet werden.

In Jena werden seit 1991 Erschließungs und Straßen(aus)baubeiträge erhoben. Die Abteilung Beiträge am Standort Löbstedter Straße 68 gehört nach der Umstrukturierung des Dezernats Stadtentwicklung seit 01.01.2011 zum Kommunalsevice Jena. Die Mitarbeiter dieser Abteilung sind kompetente Ansprechpartner für die Bürger der Stadt Jena in allen Fragen zur Erhebung von Straßenbaubeiträgen sowie des Erschließungsbeitrages, wobei diese Beiträge für die Stadt Jena und im Auftrag des Oberbürgermeisters erhoben werden. Wir sind Informationsstelle für Grundstückseigentümer, die von der Stadt Jena an den Kosten der Erneuerung oder Verbesserung ihrer Straße beteiligt werden oder noch beteiligt werden sollen und stellen auf Wunsch Bescheinigungen aus, ob solche Beiträge in der Vergangenheit gezahlt wurden oder nach ausstehen. Interessierten Bürgern werden die Schemata der Beitragsberechnung in Jena erläutert und sie erhalten Antwort auf oft gestellte grundsätzliche Fragen. Zudem können die beiden maßgeblichen Gesetze "Baugesetzbuch" und "Thüringer Kommunalabgabengesetz" nachgelesen werden, dazu die Ortssatzungen zum Beitragsrecht und die maßgebliche Rechtsprechung. Hinweis: Die Gesetzesänderung zur Abschaffung der Straßenbaubeitragserhebung in Thüringen ab dem 01.01.2019 geht einher mit gesetzlichen Regelungen, dass solche Beiträge für Verkehrsanlagen, die vor dem 01.01.2019 fertig gestellt worden sind, trotzdem noch zu erheben sind und von den Beitragspflichtigen gezahlt werden müssen.

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